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Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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einen Sohn liebe? Wäre ich indes noch reich, so würde ich meinen Wohnort ganz zweifellos in Paris aufschlagen – du kennst natürlich Paris – Paris und Paradies sind nicht ein und dasselbe Wort. Das angenehme Geräusch des Windes in den Zweigen verwandelt in das geisttötende babylonische Stimmengewirr der Straße, ödes grelles Pflaster anstelle dieses ruhigen Musters in Grün und Grau, kaputte Nerven, gestörte Verdauung – welch ein Sturz! Du siehst bereits die Konsequenzen; der Geist wird aufgepeitscht, das Herz klopft nach einem anderen Rhythmus, der Mensch hört auf, er selbst zu sein. Ich habe mich selbst mit Hingebung studiert – das ist das wahre Studium des Philosophen. Ich kenne meinen Charakter wie der Musiker die Griffe auf seiner Flöte. Sollte ich nach Paris zurückkehren, ich würde mich durch das Spiel ruinieren; mehr noch – meiner Anastasie durch meine Untreue das Herz brechen.«
    Das war für Jean-Marie zuviel. Daß irgendein Ort den trefflichsten aller Männer derart zu verwandeln vermöchte, überstieg selbst seine Gläubigkeit. Paris, meinte er, sei sogar eine recht angenehme Stadt. »Und als ich dort wohnte, habe ich keinen großen Unterschied gefühlt,« meinte er beschwörend.
    »Was?« rief der Doktor. »Hast du nicht gestohlen, während du dort warst?«
    Allein der Junge war nicht zu bewegen, einzugestehen,daß er mit Stehlen Unrecht getan hatte. Noch war, in der Tat, der Doktor davon überzeugt; aber dieser Herr pflegte ja, wenn um eine Antwort verlegen, zu keiner Zeit sonderlich gewissenhaft zu sein.
    »Und,« fuhr er fort, »fängst du jetzt an, zu begreifen? Meine einzigen Freunde waren die, die mich ruinierten. Gretz ist meine Akademie, mein Sanatorium, mein Himmel unschuldiger Freuden gewesen. Und wenn mir Millionen geboten würden, ich würde sie zurückweisen: Apage, Satanas! Hebe dich hinweg von mir, Böser! Betrachte eingehendst mein Beispiel; verachte den Reichtum, vermeide den demoralisierenden Einfluß der Städte. Hygiene, Hygiene, und ein mittelmäßiges Vermögen – dies sei deine Parole des Lebens!«
    Des Doktors System von Hygiene entsprach in überraschender Weise seinen Neigungen; und sein Bild eines vollkommenen Lebens war ein getreues Abbild des Lebens, das er zur Zeit führte. Es ist indes leicht, einen Knaben zu überzeugen, den man selbst mit allem notwendigen Tatsachenmaterial für die Diskussion versieht. Überdies hatte seine Philosophie einen Vorzug, und das war die Begeisterung des Philosophen. Niemals gab es jemanden mit einem festeren Vorsatz, froh und zufrieden zu sein, und verfügte er auch über keine starke Logik und somit auch nicht über das Recht, den Intellekt zu überzeugen, so war er doch zweifellos etwas von einem Dichter, mit dem Zauber, Herzen zu verführen. Was er nicht in der bei ihm üblichen Stimmung strahlender Bewunderung seiner selbst und seiner Lebensumstände zu erreichen vermochte, bewirkte er mitunter in seinen Anfällen von Trübsinn.
    »Junge,« pflegte er dann zu sagen, »geh mir heute aus dem Wege. Wäre ich abergläubisch, ich bäte dich sogar um einen Anteil an deinen Gebeten. Ich bin in meiner schwarzen Stimmung; der böse Geist König Sauls, die Vettel des Kaufmanns Abudah, der persönliche Teufel des mittelalterlichen Mönchs weilt bei mir, – in mir,« sich auf die Brust schlagend. »Die Laster meines Wesens haben jetzt die Oberhand; unschuldige Freuden locken mich vergebens; ich sehne mich nach Paris, danach, mich im Kote zu suhlen. Sieh,« fuhr er dann fort und holte eine Handvoll Silbermünzen hervor, »ich entblöße mich selbst, man darf mir nicht einmal das Reisegeld anvertrauen. Nimm es, hebe es für mich auf, verschwende es an entartete Bonbons, wirf es in den tiefsten Teil des Flusses – ich werde deiner Handlungsweise beistimmen. Rette mich von dem Teil meines Ichs, den ich nicht anerkenne. Siehst du mich straucheln, so zaudere nicht; wenn nötig, bring den Zug zum Entgleisen! Ich spreche natürlich in Parabeln. Jedes Unglück wäre besser, als daß ich lebend Paris erreiche.«
    Zweifellos genoß der Doktor diese kleinen Szenen, da sie eine Variante seiner Rolle bildeten; sie stellten das Byronsche Element in der etwas künstlichen Poesie seines Daseins dar; dem Jungen indes waren sie, obwohl auch er unklar das Theatralische dabei empfand, mehr. Der Doktor machte sich vielleicht zu wenig, der Junge indes zu viel aus der Realität und Bedeutung dieser Versuchungen.
    Eines Tages kam Jean-Marie eine große

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