DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
sie sich nach einem geregelten Alltag.
Nur Roger dachte nicht im Traum daran, sich auf dem gemeinsam Erreichten auszuruhen. Lokalradio-Werbepool, Engagement beim Berner Radio Förderband, Lancierung von Bonus 24, Züri-Vision-Fernsehversuche, Stella-Film, die Äthiopien-Hilfsaktion – kein Tag mit ihm verging ohne das Streben nach noch mehr Ruhm und Anerkennung.
«Kaum putzte ich am Morgen die Zähne, stand er schon hinter mir und las mir den neusten SRG-Verriss vor», sagt Ina. Diese Hyperaktivität habe auf die Dauer nur noch genervt.
Nebenbei, als hätten sie nicht schon genügend am Hals, erfüllten sie sich den Traum vom Eigenheim. Nichts Durchschnittliches sollte es werden, sondern ein «künstlerisch wertvolles Bauwerk» aus ausgesuchten, natürlichen Materialien. Sie ersteigerten sich ein Grundstück in einer Waldlichtung, und Ina investierte alle Energie und Kreativität in das künftige Haus, das zum Mittelpunkt ihres glücklichen Familienlebens werden sollte. Den grobbehauenen ockergelben Kalkstein für die Fassade entdeckte sie in Südfrankreich, und für die Kacheln im Badezimmer blätterte sie stapelweise Kataloge durch. Nach langem Hin und Her auf der Baustelle kam es am 17. Dezember 1984 zur langersehnten Schlüsselübergabe – es war ein Schlüsselerlebnis im doppelten Sinn.
Der säuerlich-beissende Geruch in der Wohnung stach Ina sofort in die Nase. Bald wagte sie sich nur noch mit Sonnenbrille aus dem Haus, um die geschwollenen Augen zu verbergen. Anfang Februar klagte sie über schwere Beine, Schmerzen im Brustkorb und entzündete Atemwege. Auch die Kinder blieben nicht verschont: Joelle litt unter Rücken- und Nasenschmerzen und weinte stundenlang, Kevin begann nervös mit der Zunge zu schnalzen. Inas erster Verdacht: «Giftige Substanzen im Holzschutzmittel machten uns alle krank.»
Nach drei Monaten und vielen schlaflosen Nächten beschloss die verzweifelte Mutter, mit Ihren Kindern in den einzigen Raum ohne Holz und Spannteppich zu flüchten: nämlich ins Büro. Genervt verkündete Roger, der wenig zuhause war und keinerlei Symptome zeigte, er werde sich an dieser Panikmache nicht beteiligen, seiner Meinung nach sei dies ja wohl das Ende eines normalen Familienlebens. In einer gemeinsamen Ferienreise sah er die letzte Hoffnung, Ina von ihrer «fixen Idee» abzubringen. Tatsächlich kehrten sie nach drei erholsamen Wochen am Strand zufrieden zurück.
Doch verfrüht war die Hoffnung auf ein Ende des Schreckens. Nachdem Ina beim Bürsten büschelweise Haare ausfielen, stellte sie ein Ultimatum: «Wenn sich unsere Gesundheit bis zum Wochenende nicht bessert, ziehen wir aus.» Als sie am Sonntag die Koffer packte, holte Roger demonstrativ seine Joggingschuhe hervor.
Doch Ina meinte es ernst: Mit Kevin und Joelle auf dem Rücksitz fuhr sie planlos in Richtung Innerschweiz, wo sie bessere Luft vermutete. In einem Hotel in Weggis buchte sie ein Zimmer. Gegen den Abend traf auch Roger Schawinski am Vierwaldstättersee ein.
Wie jeden Sonntagmorgen präsentierte Roger Schawinski – neuerdings Berufspendler ohne festen Wohnsitz – am 19. Mai 1985 seine Karibikstunde auf Radio 24. Noch nie war es ihm so schwer gefallen, die programmlich verordnete Aufgestelltheit herüberzubringen. Zu schaffen machte ihm in letzter Zeit ein unangenehmes Kratzen im Hals, zudem traten am Mikrophon mitten im Satz gut hörbare Schluckgeräusche auf. Auch litt er immer häufiger unter Migräneanfälle und Rückenschmerzen.
Ein Arzt diagnostizierte bei Ina Blutwerte, die er bisher nur bei Leukämiekranken gefunden habe. «Ist es möglicherweise Aids», fragte Schawinski geschockt. Als der Doktor verneinte, blieb nur noch eine Erklärung: Wohngifte im Neubau legten Inas psychische und physische Widerstandskraft lahm.
Als sich die Misere nicht mehr verdrängen liess, beschloss Schawinski, alles zum Thema zu recherchieren und ein Buch darüber zu schreiben. «Dass ein kleines, kaum erfassbares äusseres Ereignis das Leben eines Menschen oder einer Familie zerstören kann, dringt wohl erst dann ins Bewusstsein von uns positiven Leistungsträgern, wenn wir selbst zu Opfern geworden sind», philosophierte er in der Einleitung von «Vergiftet! Wie wir uns ein Haus bauten, das uns krank machte»).
Von nun an lebten die Schawinskis wie Nomaden. Nach einer Woche im Hotel mieteten sie eine Ferienwohnung, dann zogen sie nach Aesch in die leerstehende Wohnung eines Freundes. Während Ina ihr Heil bei einem chinesischen
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