DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
in Grund und Boden verdammt, auf menschliches Mass zurechtzustutzen.
Jetzt geht Schawinski nach vorne in seinem leicht zerknitterten Smoking. «Es ist für mich absolut unbegreiflich, was heute hier abläuft», beginnt er, und mit vibrierender Stimme erwähnt er seinen Vater, der gerade noch mitbekommen habe, dass er diesen Preis erhalte («Bitte halt durch bis zum 10. November!» habe er ihn angefleht, wie sich Schwester Jacqueline erinnert). Doch im Mai verliessen Abri die letzten Kräfte zum Weiterleben.
«Ihm habe ich sehr vieles, fast alles zu verdanken.» sagt er. Lange habe er in Gedanken mit ihm dialogisiert, um herauszufinden, was er mit dem Scheck über 50’000 Franken Sinnvolles anzufangen solle. «Und dann wurden wir in den letzten Tagen mit Meldungen über die schlimmsten Unwetter in Zentralamerika schockiert.» Er selbst habe dort gelebt, kenne die Menschen und wisse, wie schwierig das Leben dort sei.
«Deshalb möchte ich diesen Preis einer Aktion stiften, die wir morgen unter dem Titel Not in Mittelamerika starten. Unsere Leute vom Radio und Fernsehen sind bereits unterwegs, um darüber zu berichten.» Herzlicher, warmer Applaus.
Bühne frei für den Berner Mundartrocker Polo Hofer, seinerzeit «Hilfspirat» bei Radio 24. Zum ersten Mal in seinem Leben trägt er heute Krawatte, noch nie zuvor sei er in so feiner Gesellschaft aufgetreten. Und natürlich stimmt er den Reggae-Song von Jimmy Cliff an: «You can get it if you really want».
Wie auf Kommando wird den Gästen im Saal ganz anders: Mit glänzenden Augen wippen sie mit und bewegen ihre Lippen, denn sie nehmen es wortwörtlich: «Du kannst es schaffen, wenn du wirklich willst.» Es ist die Hymne des einfachen Mannes, der es gegen alle Widerstände zu etwas gebracht hat – und Roger Schawinski ist ihr Verkünder.
Wer nicht mit ihm ist, lässt sich heute Abend ohnehin erst gar nicht blicken. Die auffälligsten Abwesenden sind: die Spitzenfunktionäre des Schweizer Fernsehens, allen voran Direktor Peter Schellenberg und Chefredaktor Peter Studer (der in seiner Absage spitzfindig begründete, warum Schawinski in seinen Augen gar kein wirklicher Monopolbrecher sei). Weiter fehlen die Kaderleute der grossen Zeitungsverlage Ringier und Tages Anzeiger – sowie sämtliche Ex-Ehefrauen des Preisträgers.
Doch man ist ganz gerne unter sich. Beim anschliessenden Nachtessen sickert durch, dass als Preisträgerin ernsthaft die Popikone Madonna Ciccone im Gespräch gewesen sei. Und eigentlich hätte sich Roger Schawinski für die Laudatio den amerikanischen Medienunternehmer Ted Turner gewünscht, einen Winnertypen mit ebenfalls ausgeprägter Vaterbeziehung; als Gründer des internationalen Nachrichtensenders CNN vom amerikanischen Magazin Newsweek zum «Man of the year» gekürt, hatte er das Heft mit seinem Porträt auf der Titelseite in die Höhe gehalten und ergriffen ausgerufen: «Father, is that enough?»
Wirklich schade, dass Turner nicht kommen konnte – mit der glamourösen Gattin Jane Fonda an seiner Seite!
Trotz allem: Ein ehemaliger Schulkollege lässt sich von Schawinskis Erfolgen nicht beeindrucken
«Bitte verschwinden Sie doch endlich, ich zahle Ihnen ein Bier an der Bar!»
Kein Zweifel, auch Werner Wagemann hat es geschafft! Seine Haare sind zwar etwas schütterer als jene von Schawinski, doch die steile Karriere hat ihn bis in die Chefetage einer Privatbank geführt. Ausserdem wohnt er in einer Villa im steuerprivilegierten Herrliberg an der Zürcher Goldküste. Wägeli, so nannten ihn die Mitschüler, holt sein Fotoalbum hervor.
Bestens dokumentiert von seiner Retina 125 ist die Velotour, von Wägeli im Frühling 1959 organisiert. «Roger wollte unbedingt mitkommen», erinnert er sich. Zu viert waren die knapp 14jährigen eine Woche lang von Zürich über Luzern nach Brunnen unterwegs. Michel, Alfredo und Roger posieren mit Wägeli vor dem Löwendenkmal, auf der Axenstrasse und bei der Tellskapelle. Der rotbäckige Bursche mit dem Draufgängerblick war unumstrittener Anführer der «Gruppe Wagemann». Nicht zufällig war er im Frühling stets der erste, der kurze Hosen trug, und als einziger hatte er am Velolenker einen Tacho mit Kilometerzähler montiert. Das nötige Geld hatte sich der Sohn eines Handlangers als Ausläufer beim Quartierbäcker zusammengespart.
Schawi und Wägeli: Im Feldschulhaus, mitten im Zürcher Kreis 4, waren sie erbitterte Rivalen. Während Wägeli in Geographie und Mathematik auftrumpfte,
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