Der Schichtleiter
vielleicht wäre das dann alles niemals passiert …
„Ich hab die Videos gesehen. Ich weiß, wie du aussiehst, wenn du Spaß hast, Finn Falkner.“
Ich kann nichts sagen. Er hat recht, ich hatte Spaß. Aber ich war die ganze Zeit über zerrissen. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass er auch …
„Ich hatte keine Affäre“, sagt er plötzlich.
„Nicht?“
„Nein.“
„Warum – warum tust du dann so?“
„Ich habe dich anders betrogen.“
Ich schlucke, traue mich aber nicht, etwas zu sagen. Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt wissen will.
„Lass es mich mal als Geschichte erzählen.“ Er legt sich neben mich und holt tief Luft. „Vor vielen Jahren gab es mal einen Jungen, der irgendwann merkte, dass er nicht wie die anderen war. Das merkte auch ein Mann aus der Nachbarschaft. Anstatt den Jungen aber zu unterstützen, erpresste er ihn, indem er drohte, seinen Eltern zu erzählen, dass er gern Jungs küssen wollte. Damit hatte der Nachbar den Jungen vollkommen in der Hand und brachte ihn dazu, sich für den Mann auszuziehen und Fotos von sich machen zu lassen. Als der Junge das richtige Alter erreicht hatte, begann der Mann damit, ihn auch anzufassen. Bevor es zum Äußersten kommen konnte, verschwand der Mann schließlich und ward nie wieder gesehen.“
Mein Mund ist ganz trocken. „Du – du bist missbraucht worden?“
Marco sieht mich erschrocken an. „Wenn du es so sagst, klingt es so schlimm …“ Er stockt. „Aber ja, das ist wohl richtig. Es waren vielleicht bloß Fotos und am Ende hat er mich ein wenig betatscht, aber es ist gegen meinen Willen geschehen und damit hast du recht.“
„Wie alt warst du?“
„Mit vierzehn fing das mit den Fotos an und mit fünfzehn wurde er langsam zudringlich.“
„Ich hoffe, das Arschloch ist in den Knast gewandert.“
„Ja, das ist der zweite Teil der Geschichte.“
Ich lege meinen Arm um ihn. „Okay, erzähl.“
„Viele Jahre später war aus dem Jungen ein Mann geworden und er machte sich auf die Suche nach dem Nachbarn. Er erfuhr, dass der Nachbar einige Jahre im Gefängnis verbracht und danach ein neues Leben begonnen hatte. Also beschloss er, sich an dem Nachbarn zu rächen. Das war eine unüberlegte Sache, weil er damit seine Liebe aufs Spiel setzte, aber er konnte einfach nicht anders.“
„Moment“, unterbreche ich. „Was für eine Liebe?“
Marco seufzt. „Ich habe doch gesagt, dass ich dich betrogen habe.“
Mir wird wieder ganz seltsam bei diesen Worten. „Wie passt das zusammen?“
„Also …“
„Nein! Erzähl’s normal, okay? Ich will keine Märchenversion. Ich bin schon erwachsen.“
„Möchtest du Bennys Künstlernamen wissen?“
„Bennys was?“
„Künstlername. Er nennt sich Danny Dong und hat in etwa fünf oder sechs Pornofilmen mitgespielt.“
„Was? Was erzählst du mir denn da?“
„Ich erzähle dir, wer Benny ist und dass ich ihn angeheuert habe.“
Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Ich habe gewusst, dass noch irgendwer dahinterstecken muss, aber Marco? Und mit einem inneren Donner wird mir auch klar, dass Werner Zielke wohl der besagte Nachbar sein muss.
„Du hast deinen früheren Nachbarn gezwungen, von mir und Benny Filme zu drehen?“
„Ich wollte wissen, ob du dich darauf einlässt. Und ich will etwas gegen dieses Schwein in der Hand haben!“
Ich schweige eine Ewigkeit. Jetzt weiß ich auch, weshalb der Zielke immer so hin- und hergerissen war zwischen Altmännergeilheit und Sorge. Am Anfang gab’s im Büro Sex, da war er noch locker drauf – zumindest so lange, wie er geil war. Als plötzlich in der Anlage gefilmt werden sollte, muss ihm wohl klar gewesen sein, dass die Videos eindeutige Beweise liefern sollen. Und all das unter der Regie von Marco. Die ganze Zeit über hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass zwischen mir und ihm etwas kaputtgegangen ist – soeben hat es sich bestätigt. Ich weiß nicht, ob ich ihn hassen oder Mitleid haben soll. Das ist mir gerade viel zu viel Drama.
„Gut, jetzt hast du etwas gegen ihn in der Hand, oder? Wie geht’s weiter?“
„Ich nehme ihm seinen Job und seine Ehre. Der lebt tatsächlich mit einer Frau zusammen!“ Marco lacht und ich glaube, ein bisschen Wahnsinn in seinen Augen sehen zu können.
„Schön. Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte. Leider hast du wohl nicht damit gerechnet, dass der Blödmann die Filme irgendwo hochlädt und so auch mein Job und meine Ehre nebenbei hopsgehen, was?“
„Aber immerhin weiß ich
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