Der Schichtleiter
Mist auf der Arbeit mitbekommen. Mir bleibt also gar nichts anderes übrig, als Marco geschickt da rauszuholen und …
„Möchte jemand noch einen Kaffee?“, fragt meine Mutter und ich höre schon ihre Schritte. Vom ersten Impuls getrieben, will ich schnell weg, doch dann habe ich mich wieder unter Kontrolle und öffne entschlossen die Tür.
„Hallo“, sage ich und meine Stimme klingt irgendwie total unsicher und eher fragend.
„Finn!“, ruft meine Mutter überrascht. Ich sehe an ihrem Gesicht, dass sie sich Sorgen gemacht hat. War vielleicht nicht die feine Art, einfach so aus dem Haus zu laufen.
Hinter ihr sitzen mein Vater, Marco und auch Lukas am Esstisch. Mein Magen rotiert. Ich spüre wieder die Wut auf Lukas. Was macht der Arsch überhaupt noch hier? Bestimmt fand meine Mutter den Rauswurf zu unhöflich und hat ihn gebeten, doch bitte zu bleiben.
„Hi“, sage ich noch mal und komme mir vor wie ein dummes Kind, das irgendwas ausgefressen hat und sich nun entschuldigen muss. Ein wenig ist es ja auch so.
„Hallo, Finn“, antwortet Marco schließlich und steht auf.
Ich kämpfe die Versuchung nieder, vor ihm zurückzuweichen. Ich weiß gar nicht, ob mir diese Vertrautheit vor meinen Eltern unangenehm ist oder eher die Tatsache, dass Marco bereits von den Videos weiß und nun trotzdem auf mich zukommt.
Eine ziemlich komische Situation. Alle schauen mich an und Marco bleibt einen Schritt vor mir stehen und traut sich wohl nicht recht oder will vielleicht nicht …
„Wir müssen reden“, presse ich hervor.
Er umarmt mich nun doch unerwartet und in mir fallen lauter Dinge durcheinander. Ich will ihm gar nicht nah sein, ich will nicht, dass er mich hält, ich will nicht, dass wir weiter zusammen sind – nicht nach allem, was passiert ist. Es ist mir tatsächlich auch peinlich, dass wir hier im Wohnzimmer meiner Eltern stehen und sie alles mitbekommen. Lukas obendrein!
Ich löse mich und schiebe Marco ein Stück beiseite. Ich räuspere mich, aber meine Stimme klingt noch immer so bescheuert unsicher.
„Ich – ich wollte es euch schon früher sagen, aber …“ Ich huste blöd. „Also – ähm, das ist mein Freund Marco. Wir sind – äh, seit zwei – ähm, drei Monaten – zusammen.“ Es klingt wie eine Lüge, wie eine monsterfette, ultrabeschissene Lüge! Marco kann gar nicht mehr mein Freund sein und wir sind auch nicht mehr zusammen! Aber er ist aufgestanden und hat mich umarmt … Was macht dieser hinterhältige Lukas eigentlich noch da? Ich könnte ausrasten, wie beschämt und bedröppelt er auf die Tischplatte schaut!
Da keine Reaktion kommt, füge ich leise an: „Ich bin also schwul.“
„Ja“, sagt mein Vater irgendwann und nickt ernst. „Deine Eltern sind zwar schon ein wenig älter, aber dumm sind wir nicht.“
„Ich hole Kaffee. Willst du auch eine Tasse, Finn?“, fragt meine Mutter und verlässt eilig das Wohnzimmer.
Ich kann gar nicht glauben, was da gerade passiert ist. Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich schwul bin, und alles, was kommt, ist – ein blöder Spruch und Kaffee?
„Ich hab mich auf der Arbeit krankgemeldet“, sage ich schließlich.
„Bist du denn krank?“ Mein Vater schaut mich misstrauisch und besorgt zugleich an.
„Ich hab ein Problem auf der Arbeit.“ Mein Hirn rast, weil ich meinem Vater jetzt irgendwas liefern muss.
„Weil du – homosexuell bist?“
„Ja.“ Danke-danke-danke!
„Deshalb ist Lukas auch hier, weil ich mit einem guten Freund reden wollte!“ Ich sehe Lukas bei diesen Worten finster an.
„Wenn du willst, rede ich mit deinem Chef“, sagt mein Vater.
Mein Herz setzt plötzlich aus. „Nein! Auf keinen Fall!“ Ich räuspere mich. „Ich will das selbst regeln, okay?“
„Ist es denn – schlimm?“
„Nein“, lüge ich, nur um kurz darauf umzuschwenken. „Doch, es ist schlimm. Ich überlege, ob ich den Ferienjob abbreche und gar nicht mehr hingehe. Ich will allerdings nicht, dass du dich da einmischst, okay?“
Mein Vater nickt nur. Kurz darauf kommt meine Mutter mit ihrem Kaffee. Eigentlich will ich nicht, aber ich setze mich trotzdem an den Tisch. Ich habe das Gefühl, dass sich meine Mutter tatsächlich über den unverhofften Besuch freut und vielleicht auch darüber, dass ich einen Freund habe. Ich glaube, insgeheim hat sie schon sehnsüchtig darauf gewartet, dass ich endlich mal jemanden mit nach Hause bringe – da ist es glatt egal, ob Mann oder Frau. Und auch mein Vater schlägt sich erstaunlich
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