Der Schichtleiter
reicht mir! Ich kann nicht noch eine beschissene …
„… ich hab Marco angerufen …“
Das Geständnis schwebt eine Zeitlang zwischen uns. Es fühlt sich an, als hätte jemand auf Pause gestellt.
„Er kommt her“, flüstert Lukas nach einer Weile und bricht den Bann.
„Du hast was ?“ Wie auf Kommando raste ich völlig aus und schreie vor Wut und Panik herum. „Bist du bescheuert? Weißt du eigentlich …“ Weil mir die Worte fehlen, brülle ich einfach laut auf. Erst das Klopfen an meiner Zimmertür bringt mich kurz wieder runter.
„Alles in Ordnung?“, fragt meine Mutter.
„Nein!“, schreie ich zurück.
Ich glaube, es ist diese kurze Unterbrechung, die mich Lukas’ Gesicht in einem anderen Licht sehen lässt. Plötzlich verstehe ich die Mischung aus Hoffnung und Bedauern. Warum sollte er sonst Marco anrufen und ihn über meinen Ausflug ins Pornogeschäft unterrichten? Er macht sich Hoffnungen, dass meine Beziehung zu Marco unter den Geschehnissen zerbricht. Darum hat er ihn angerufen, damit ich keine Chance habe, selbst etwas zu erklären, damit Marco völlig unvorhergesehen in die Sache stolpert und sich natürlich fragen muss, ob ich ihm jemals die Wahrheit gesagt hätte. Und das Bedauern liegt wohl an der Erkenntnis, dass der Schuss nach hinten losgehen kann. Genau so ist es auch!
„Raus!“, schreie ich wie von Sinnen und will die Tür aufreißen. Aber Lukas hat ja abgeschlossen. Es dauert ewig, bis ich den Schlüssel umgedreht habe. Dann steht meine Mutter mit erschrockenem Gesicht vor mir. Ich bekomme in meiner Wut gar nicht mit, was das gerade bedeutet. Lukas sitzt ja noch nackt auf meinem Bett und er hat tatsächlich immer noch einen Ständer.
„Raus!“, wiederhole ich.
Aber anstatt sich zu bewegen, bedeckt er seine Blöße lediglich mit der Bettdecke. Das reicht mir. Mit drei Schritten bin ich bei ihm und zerre ihn durch den Raum. Nur mit der Bettdecke umwickelt, stolpert er voran.
„Finn, bitte – lass mich …“
„Nein! Verschwinde!“ Ich stoße ihn aus dem Zimmer.
„Finn!“, ruft nun auch meine Mutter. „Was ist denn los?“
„Ich bin schwul!“, antworte ich und werfe krachend die Tür zu. Danach schlurfe ich erschöpft zum Bett und lasse mich hineinfallen. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das ganze Chaos jemals bereinigen soll. Dann springe ich wieder auf, schnappe meine Tasche und verlasse noch vor Lukas das Haus. Mir doch egal, was er meiner Mutter auftischt, um das Schauspiel zu erklären. Die glaubt ja ohnehin jeden Scheiß, den sie von dahergelaufenen Schwuletten aufgetischt bekommt. Ach Kacke, ich könnte so ausrasten vor Wut und Verzweiflung! Aber immerhin weiß ich, wo ich hin will.
19
Ab durch die …
Ich bin einigermaßen erleichtert, als ich die Arztpraxis mit dem gelben Schein verlasse. Zumindest das hat schon mal geklappt, auch wenn ich dem Arzt was vorlügen musste. Aber ich kann wohl kaum erzählen, dass mein Arbeitsplatz für Pornodrehs missbraucht wird, an denen ich unfreiwillig freiwillig teilnehme. Jetzt habe ich erst mal eine Woche lang Ruhe, um in meinem Kopf alles in Ordnung zu bringen.
Als ich dann Marcos Auto vor meinem Elternhaus sehe, wird mir zum wiederholten Mal schlecht. Demnach habe ich beim Arzt ja auch nicht gelogen, was die Übelkeit angeht. Mir wird heute öfter mal ganz schwindelig. Verdammt, warum hat Lukas das nur gemacht? Als Nächstes trifft mich die Erkenntnis, dass genau dieser Schritt wohl die einzige Möglichkeit ist, alles irgendwie wieder ins Lot zu bringen. Nur wäre ich gern besser darauf vorbereitet gewesen.
Ich bleibe sicherlich eine Viertelstunde vor der Haustür stehen und traue mich nicht hinein. Als ich dann endlich den Mut aufbringe, bin ich so leise, dass mich niemand hört. Ich höre gedämpfte Stimmen aus dem Wohnzimmer. Natürlich muss sich Marco erklären. Ist ja schon seltsam, dass plötzlich ein erwachsener Mann bei meinen Eltern auftaucht und auf mich warten will, weil ich nicht da bin. Wie peinlich, wie ultrapeinlich! Am liebsten würde ich gleich wieder rausrennen und nie zurückkehren.
Mit ordentlichen Bauchschmerzen schleiche ich mich durch den Flur zur angelehnten Wohnzimmertür. Wenn man es so sieht, habe ich mein Coming-out ja bereits hinter mir. Meiner Mutter jedenfalls habe ich persönlich gesagt – oder entgegengebrüllt –, dass ich schwul bin. Aber das dürfte wohl gerade mein geringstes Problem sein. Viel nervöser macht mich die Möglichkeit, dass meine Eltern irgendwas von dem
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