Der schlaue Pate
impotent. Und nicht nur einmal, ›das kann ja mal vorkommen‹, nein, es wollte einfach nicht mehr klappen. Sobald ich das leiseste Anzeichen eines möglichen Abschlaffens zu spüren glaubte, dachte ich, das klappt nicht, und selbstverständlich gab es ab dieser Sekunde gar keine Chance mehr. Wochen vergingen, Monate.«
Er trank Whisky und schüttelte den Kopf.
»Wie«, fragte Desirée zurückhaltend, »fühlt man sich als Mann dabei?«
Er starrte sie an und verzog keine Miene. »Wie ›mann‹ sich bei so etwas fühlt? Beschissen, das kann ich Ihnen sagen. Das dumpfe Bewusstsein, impotent zu sein, verschwindet nie, überlagert alles. Es ist, als wären einem alle vier Gliedmaßen auf einmal abgehackt worden, man müsste den Rest des Lebens im Bett verbringen und gefüttert und gewaschen und aufs Klo gesetzt und abgeputzt werden und könnte nicht mal mehr die Fernbedienung des Fernsehers selbst bedienen.«
Desirée starrte ihn an, erschüttert über diesen Vergleich.
Er hatte immer aggressiver gesprochen. Nun senkte sich Schweigen herab.
Rind ließ eine Minute vergehen, bis er leise fragte: »Ging es wieder vorbei?«
Überraschenderweise setzte Baginski plötzlich einen glücklichen Gesichtsausdruck auf. »Wissen Sie, was ich gemacht habe? Ich rief Familie Kaiser an, wo man mir Ellens Nummer gab. Sie lebte immer noch in Melsungen. Sie freute sich sehr über den Anruf. Im Hintergrund krähte ein Kind. ›Ja, ich hab auch schon was Kleines‹, sagte sie, ›eigentlich bin ich doch ein Muttertier.‹ Das verblüffte mich genauso wie sie meine Berufswahl. ›Du bist was ? Das gibt’s doch nicht.‹ Mit Achim, dem Vater, hatte sie nur ein paar Monate zusammengelebt, ›das ging einfach nicht‹. Mit dem war sie auch mal zusammen und mal nicht, seit sie dreizehn war. Während meine Frau auf einer Fortbildung und ihr Sohn auf Klassenfahrt war, kam sie mich mit ihrer ersten Tochter besuchen, damals zwei. Sophie war süß, aber still, Ellen noch genauso schön. Sie hatte Fotos dabei, die wir damals von uns gemacht hatten. Ich war gerade ziemlich dick geworden. ›So schlank bin ich mal gewesen?‹ Sie lachte ihr kehliges ›Höhö‹ und haute mir auf den Bauch. Dann haute sie mir auf den Oberschenkel und erzählte, sie habe mir im Sommer nach ihrem Abitur einen Brief geschrieben, aber der sei zurückgekommen, irgendein Fehler, und meine Eltern standen nicht im Telefonbuch. Ich schluckte. ›Was stand drin?‹
›Na ja, ich fand … das Ende … war zu blöd für uns.‹ Wir sahen uns an und schwiegen. Sie hatte einen Mann geheiratet, mit dem sie über Jahre mal zusammen war und mal nicht, der ihr vertraut war, ungefährlich – weil sie mich nicht mehr auftreiben konnte. Was wäre passiert, wenn ich den Brief bekommen hätte? Keine Ahnung. Ich brachte sie runter zum Wagen. ›Tjaaa, Ewald.‹ Sie strahlte mich an. Dann gab sie mir einen Kuss auf den Mund und winkte beim Losfahren aus dem Fenster. Am nächsten Tag kam Manuela zurück, und abends im Bett war die Impotenz genauso plötzlich weg, wie sie gekommen war. Von Ellens Besuch habe ich Manuela sicherheitshalber erzählt, falls uns jemand auf der Straße beobachtet haben sollte. Ellen wohnte damals in einer kleinen Wohnung. Wie üblich fuhr Manuela zwischen den Jahren mit ihrem Sohn nach Eutin, und ich fuhr mit ihrem Zweitwagen nach Düsseldorf zu Peter und Renate, rauchte wie üblich bei der Scheune, auf der ›Hotel‹ steht, meine Gedenkzigarette, und auf dem Rückweg besuchte ich Ellen. Und unsere Affäre begann. Nach zwölf Jahren. Das war – zwischen den Jahren, als sie, als sie …« Er stockte, schluckte. »Vor sechzehn Jahren.« Er begann zu schluchzen.
18.
Im März …
… als Vladimir Putin, der womöglich seine schützende Hand über den schlauen Paten hielt, erneut zum russischen Präsidenten gewählt wurde und das Land in Dauerregen versank, erhoben die Frankfurter Staatsanwälte Anklage. Damit wurde aus dem Ermittlungs- das Zwischenverfahren, Richterin Schäfer prüfte, ob sie die Anklage zuließ, und Ewald Baginski wurde vom Beschuldigten zum Angeschuldigten. Andreas bekam die Akten zur Einsichtnahme zugesandt.
Desirée und Rind sowie Ollie vor den Monitoren wurden langsam etwas nachlässig, und jemand bemerkte etwas. Kaum waren Desirée und Professor Rind im Garten, ging in einem hohen Fenster mit Blick über die Hecke in einem der Nachbarhäuser das Licht an. Sekunden später ging es wieder aus, aber eine Frau kam aus dem Haus,
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