Der schlaue Pate
mehr.‹ Ich bekam den üblichen Faustschlag in den Solarplexus. Ich flehte, ich rief Dutzende Male an, ich schrieb Bettelbriefe, es nutzte alles nichts. Monatelang war sie mal wieder aus meinem Leben verschwunden. Und irgendwann passierte, was passieren musste.«
Ingrid war der Überzeugung, dass man mit Freundlichkeit viel mehr erreichen konnte, doch diesmal kochte sie vor Zorn.
»Ihr beobachtet diesen Kerl die ganze Zeit?« Sie hatte Prinz und Ollie erwischt, wie sie sich in Ollies Bastelbude Filmaufnahmen des Weißhaarigen ansahen, der ihnen beim Neujahrsempfang im Rathaus aufgefallen war. »Du wolltest doch nichts damit zu tun haben!«
Prinz seufzte. »Ollie hat nur einen Positionsmelder an seinen Wagen geklebt und ihn ein paarmal aus der Distanz gefilmt. Wir wissen nicht mal, wie er heißt.«
»Der Wagen«, erklärte Ollie, »ist ein unauffälliger Golf mit einer Wolfsburger Nummer, wie man sie hier ständig sieht. Werkswagen des VW -Werks in Baunatal. Sie sind alle auf die Zentrale gemeldet. Er arbeitet aber nicht bei VW . Er überwacht diesen Krähfuß genauso locker, wie wir ihn überwachen.«
Ingrid schüttelte den Kopf. »Und wozu soll das gut sein?«
»Um ein bisschen mehr in die Hand zu bekommen, wenn wir mit dem schlauen Paten verhandeln müssen«, sagte Prinz.
»Der meldet sich doch gar nicht, wenn du ihn in Ruhe lässt!«
»Der meldet sich, verlass dich drauf.«
»Ihr bringt uns noch in Teufels Küche!« Ingrid schritt zur Treppe, um deutlich zu machen, dass sie mit alldem nichts zu tun haben wollte. »Euch ist doch bloß langweilig. Ihr habt nichts zu tun, also spioniert ihr der Russenmafia hinterher!«
»Wie jedes Jahr fuhr Manuela am zweiten Weihnachtsfeiertag für eine knappe Woche mit dem Jungen in unserer Familienkutsche zu ihren Eltern nach Eutin und ich in ihrem Zweitwagen zu Peter und Renate nach Düsseldorf, rauchte bei der Scheune meine Gedenkzigarette und parkte auf dem Rückweg abends in Melsungen auf dem Parkplatz beim Eulenturm, beklommen vor Freude. Ellen kam wie immer etwas zu spät. Ihre Lippen waren härter als sonst. ›Hast du daran gedacht, abzusagen?‹
›Ja, heute Morgen.‹
›Das habe ich gespürt. Ich hatte größere Angst vor dem Telefon als sonst.‹ Sie lächelte; schluckte das Lächeln runter.
›Was ist?‹
›Ewald, am ersten Feiertag war ich ohne Achim bei Freunden. Da … na ja, da war ein Typ, ein Ägypter, der hat sich in mich verliebt.‹
Ich starrte sie an. Dann lachte ich gezwungen. ›Tja, so sind sie, die Ägypter.‹
Sie sah mich an, begriff, dass ich nicht kapieren wollte, seufzte. ›Ich glaube, ich habe mich auch in ihn verliebt. Das wollte ich dir nicht am Telefon sagen.‹
Da war er wieder, der Faustschlag in den Solarplexus. ›Scheiße, Ellen.‹
Sie steckte in einer Ehe, aus der sie unbedingt rauswollte. Mit mir klappte es nicht, also hatte sie sich in einen anderen verliebt. Er hieß Saed und lebte davon, ägyptischen Schmuck auf Wochen- und Weihnachtsmärkten zu verkaufen. Wir sahen uns ein Dreivierteljahr nicht, telefonierten nur selten, wobei der Ägypter nicht erwähnt wurde. Achim lebte immer noch im Haus und gab den fürsorglichen Vater, heimliche Treffen hatte sie nun mit dem Ägypter. Bis sie, natürlich, von ihm schwanger wurde. Achim zog aus, Saed aber nicht ein. Sie schrieb mir einen aufgewühlten, aufwühlenden Brief.«
Es war tief in der Nacht, auf dem Gut war nichts anderes zu hören als der gegen die Fenster prasselnde Regen. Baginski, der auf dem Sofa lag und den Tumbler mit Whisky auf der Brust balancierte, stellte das Glas weg, erhob sich schwankend und kramte in einem Aktenkoffer, in dem die Briefe und Fotos von Ellen Kaiser waren, bis er den richtigen gefunden hatte. Schwerfällig legte er sich auf das Sofa, den Brief beinahe andächtig in der Hand. Mit schwerer Zunge las er vor:
»›Lieber Ewald! Als wir die letzen Male telefonierten, haben wir das Thema ›Ägypter‹ wohlweislich ausgesperrt. Tatsache war, dass ich mich wirklich in diesen Mann verliebt hatte und wir uns nur unter schwierigen Umständen (kennst Du ja) treffen konnten, solange Achim noch hier wohnte, wir diese Treffen aber unbedingt wollten. Diese Beziehung zu Saed bestand (aus meiner heutigen Sichtweise) eigentlich nur aus einer blinden Verliebtheit und sexuellem Interesse – aber es ist passiert: Ich bin schwanger. Ich erwarte von diesem Mann ein Kind (bin im 4. Monat) und merke seitdem, dass sich die ›Liebe‹ doch so ziemlich
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