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Der schlaue Pate

Der schlaue Pate

Titel: Der schlaue Pate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Schnell
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sehr lange. Ich glotzte blicklos auf meinen leeren und ihren noch halb vollen Eisbecher. Plötzlich bekam ich mit, dass der Eisdealer regelrecht zu strahlen begann. Ich folgte seinem Blick, und da kam Ellen, rot im Gesicht und mit einem Grinsen von einem Ohr zum andern. ›Es ist weg‹, hauchte sie, offenbar total erschöpft.
    ›Was?‹
    ›Als hätte ich drei Perioden auf einmal gekriegt. Es ist weg!‹ Am nächsten Tag bestätigte das der Arzt. Sie ließ sich die Pille verschreiben. Die nächste normale Periode müsse abgewartet werden, aber dann könnten wir. Einige Wochen waren wir ein glückliches Paar. Ja, manchmal stelle ich mir vor, was wohl passiert wäre, wenn sie damals dieses Kind bekommen hätte. Es wäre im letzten Sommer achtundzwanzig Jahre alt geworden. Ellen und ich hätten womöglich sogar geheiratet. Nun ja, und wären längst geschieden, nehme ich stark an.«
    Desirée blickte zu Rind, der den Kopf schüttelte: Jetzt bloß keine Nachfrage.
    »In den Herbstferien fuhren wir in ihrem neuen Wagen zunächst ihre Eltern in Melsungen besuchen. Ellen, genau wie ich das Problemkind der Familie, war ziemlich verkrampft während dieses Besuchs. Ich sollte in einem Gästezimmer schlafen und schlich nachts in ihr altes Kinderzimmer. Ellens Stirn verfinsterte sich. ›Bist du verrückt?‹, zischte sie. ›Hau sofort ab!‹ Das wollte ich nicht einsehen. Sie haute mir eine runter. Mitunter hat Ellen eine ziemlich kurze Zündschnur. Am nächsten Tag fuhren wir nach Dortmund, zu meinen Eltern. Finster schweigend, bis mir etwas auffiel. Auf dem schrägen Dach einer Scheune neben der A44 stand in großen weißen Buchstaben: ›Hotel‹. Sonst nichts, keine Telefonnummer, Adresse. Das steht da übrigens heute noch. ›Guck mal‹, sagte ich. ›Da steht Hotel auf einer Scheune.‹ Sie lachte, ›höhö‹, haute mir mit der flachen Hand auf den Oberschenkel und sagte: ›Na, Ewald, wann gehen wir zwei beide denn mal in eine Scheune?‹ Wir fuhren von der Autobahn, fanden keine Scheune, aber eine unverschlossene Waldarbeiterhütte. Niemand da. Karge Holzeinrichtung, ein langer Tisch, ein paar Stühle. Erst rauchten wir was; damals waren wir beide Kiffer. Dann saß ich auf dem Tisch, und sie stand zwischen meinen Beinen, allerdings mit Klamotten. Inzwischen war es Oktober und ziemlich kühl. Sie zog den Reißverschluss runter, ich legte mich zurück. Sie gab tatsächlich etwas wie ›Wow‹ von sich, zog sanft die Vorhaut zurück und nahm mich in ihren unglaublichen Mund. Ich konzentrierte mich voll auf den Genuss, hielt mich ein paarmal mit Mühe zurück, dann kam ich, und sie schluckte das alles und machte ›Mhm‹. Das war der denkwürdigste Orgasmus meines Lebens. Danach richtete ich mich auf und umarmte Ellen und bemerkte jetzt erst, dass sie sich nicht auf einen der Stühle gekniet hatte. ›Hast du etwa die ganze Zeit gestanden?‹
    Sie lachte. ›Das macht mir nicht so viel aus.‹
    Aber auf ihrer Geburtstagsparty tanzte sie die ganze Zeit mit einem anderen. Ich betrank mich und machte irgendeine Szene, an die ich mich nicht mehr erinnere. Ich fing mir wieder eine saftige Ohrfeige ein und an zu heulen. Ich verhielt mich wie der letzte Volltrottel. Nun ja, und diesmal war es endgültig. Ich zog mich völlig in mich selbst zurück und hasste alle. Wie damals auf dem Gymnasium.«
    Er schüttelte über sich selbst den Kopf. »Wir gingen uns aus dem Weg, bis sie im nächsten Frühjahr Abitur machte. Irgendwann, kurz vor der Abifeier, kam sie freudestrahlend auf mich zu. Ich ließ sie abblitzen, weil ich nie wieder so sehr verletzt werden wollte. Sie zuckte die Achseln und ging weiter. Zum letzten Mal sah ich sie bei der Abifeier. Damit war Ellen Kaiser aus meinem Leben verschwunden.«
    Der junge Staatsanwalt in Wiesbaden lernte seine Frau Manuela kennen, eine Altenpflegerin bei der Caritas, sieben Jahre älter als er, geschieden, alleinerziehende Mutter eines damals achtjährigen Sohnes.
    »Eine großartige, warmherzige, sinnliche Frau«, schwärmte Baginski. »Mit einer klassischen Figur, in vieler Hinsicht die tollste Frau, die ich je getroffen habe. Nun ja, wir verliebten uns Hals über Kopf.«
    Sie heirateten, als er neunundzwanzig und sie sechsunddreißig war, und zwei Jahre später bekam er die Chance, Kapitalverbrechen zu bearbeiten, in Kassel.
    Ausgerechnet Kassel. Etwa dreißig Kilometer nördlich von Melsungen.
    »Kaum in diesem Haus hier etabliert, wurde ich, aus heiterem Himmel, plötzlich

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