Der schlaue Pate
durch eine graue Tür links hinter der Richterbank, der dritte setzte sich vor die Tür. Sonst war die Bühne noch leer, doch die Spannung stieg, das Gewisper verstummte weitgehend.
»Hinter der Tür wartet der Angeklagte«, flüsterte Ingrid. »Die Tür rechts hinter dem Protokollführer führt zum Beratungszimmer des Gerichts.«
Um zwei Minuten vor zwei wurde der Angeklagte von den beiden Justizbeamten hereingebracht und auf seinen Platz hinter der niedrigen Bank gesetzt, doch Ewald Baginski erhob sich sofort, wandte sich um und schüttelte Andreas und Spohr die Hand, die über ihm auf der Verteidigerbank saßen. Ein Justizbeamter setzte sich ebenfalls hinter die niedrige Bank, doch zwei oder drei Sitze von Baginski entfernt, der zweite nahm neben der Haupttür Platz, von wo er draußen wartende Zeugen aufrufen konnte, der dritte blieb neben der Tür links der Richterbank sitzen. Sie alle ließen den Angeklagten nicht aus den Augen. Baginski setzte sich, nickte Desirée und Ingrid kurz zu und blickte mit ausdrucksloser Miene nach vorn.
Leises Getuschel im Zuschauerraum.
»Das also ist er«, konnte Desirée mehrmals verstehen. Mindestens eine Frau schluchzte verhalten.
Prinz eilte in Ollies Bastelbude, Ollie zeigte auf zwei Monitore.
»Der Golf mit der Wolfsburger Nummer hat drei Runden um Baginskis Haus gedreht. Jetzt ist unser bleicher weißhaariger Freund ausgestiegen und schleicht den Pfad entlang zum Hintereingang. Was, glaubst du, hat das zu bedeuten?«
Prinz grinste. »Dass der schlaue Pate jemanden im Gerichtssaal sitzen hat.«
Baginski trug eine braune Cordhose, die nicht ganz sauber zu sein schien, einen mattroten, zerknautscht wirkenden Pulli und Turnschuhe. Der Vollbart war abrasiert, das graue Haar kurz geschoren. Er sollte den Eindruck erwecken, als käme er gerade aus der Untersuchungshaft, womöglich unausdenkbaren Qualen ausgesetzt.
Um Punkt vierzehn Uhr ertönte irgendwo draußen leise ein Gong, das Gericht kam herein, zog die Sessel zurück und nahm davor Aufstellung, alle im Gerichtssaal und im Zuschauerraum erhoben sich. Die Vorsitzende Richterin der 5. Großen Strafkammer Heike Schäfer war eine eher kleine Frau mit enormer schwarzer Lockenpracht und großer Nase in einem sonst freundlich wirkenden Gesicht mit warmen dunklen Augen. Die Robe schien eine Figur mit sehr großen Brüsten zu verbergen. Die beiden Beisitzer links und rechts neben ihr, zwei jüngere Männer, überragten sie ebenso wie die beiden Schöffen links und rechts der Beisitzer, Laienrichter aus der Bevölkerung in Zivil, ein dicker Rentner mit rötlicher Glatze und Nase, eine dünne mausartige Brillenträgerin, die wie eine gehemmte Lehrerin oder eine bildungsbeflissene Hausfrau wirkte.
Die Vorsitzende brachte die Formalien eilig, beiläufig und ohne erkennbares Bewusstsein ihrer Wichtigkeit hinter sich: »Ich eröffne die Hauptverhandlung«, es folgte das unverständliche Kürzel, »vor dem Schwurgericht am Landgericht Kassel gegen den Angeklagten Ewald Baginski wegen Mordes.«
Dann wurden alle Anwesenden von der Vorsitzenden nachlässig, als wäre ihr das lästig, zum Platznehmen aufgefordert, das Gericht sank in die Sessel.
Desirée registrierte jetzt erst, dass Richter und Prozessbeteiligte langstielige, in alle Richtungen drehbare Mikrofone vor sich hatten. Die Mikros mussten mit einem Knopf am Fuß eingeschaltet werden, dann glühte am Sprechkopf ein rotes Licht.
Die Vorsitzende ließ ihren freundlichen Blick vom Angeklagten und der Verteidigung über Anklage, Nebenklage und Sachverständige, schließlich über den Zuschauerraum gleiten.
»Da wir heute noch keine Zeugen hören«, erklärte sie, »können wir das zügig hinter uns bringen.« Sie stellte die Anwesenheit aller Prozessbeteiligten und mit entschuldigendem Lächeln – »natürlich kennen wir Sie trotz Ihres leicht veränderten Erscheinungsbildes alle, Herr Baginski« – die Identität des Angeklagten fest, fragte nach Nebenanträgen oder Vorfragen, die es nicht gab.
Andreas merkte nur an, dass er je nach Prozessverlauf weitere Zeugen oder andere Beweismittel einbringen könnte. Die Vorsitzende nickte wohlwollend. Desirée fragte sich, ob sie mit allen Angeklagten so freundlich umging.
Die Vorsitzende nickte den beiden Staatsanwälten zu. »Dann kommen wir jetzt nach Paragraf 200 S t PO zur Verlesung des Anklagesatzes.«
Es erhob sich Reinhard Krieg mit einer Akte in der Hand. Er war von durchschnittlicher Größe und
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