Der schlaue Pate
eine Miene zu verziehen.
»Fürs Protokoll« stellte die Vorsitzende fest, dass die Anklageschrift dem Angeklagten und seinen Verteidigern rechtzeitig zugegangen sei, diese keine Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorgebracht hätten und die Anklage somit zuzulassen sei. Dann gab sie, alles unter Angabe einer Reihe Paragrafen, den Umfang der Akten an, erklärte, dass es zwischen Anklage und Verteidigung keine Verständigung gegeben habe, und kam zur Vernehmung des Angeklagten, den sie zunächst über sein Schweigerecht belehrte.
»Möchten Sie nun die Gelegenheit ergreifen, das Geschehen aus Ihrer Sicht der Dinge zusammenhängend darzustellen, Herr Baginski?«
»Jawohl, Frau Vorsitzende«, erklärte Baginski nüchtern.
»Gut. Sie können an Ihrem Platz bleiben und haben das Wort.«
Baginski hatte keine Papiere vor sich und trug frei vor, doch Desirée kannte den sorgfältig formulierten und einstudierten Text. Selbst den Autor hatte Andreas beim letzten Entwurf um Rat gefragt, und der konnte der immer hölzerner geratenen »Einlassung des Angeklagten« wieder einen Hauch Sprechsprache verleihen und noch ein knappes Drittel rauskürzen.
»Ich kenne Ellen Kaiser seit dreißig Jahren, ich habe sie immer geliebt, und ich liebe sie noch jetzt«, hob Baginski an.
Desirée konzentrierte sich auf die Ankläger und Nebenkläger und erkannte, dass der erste Überraschungsschlag getroffen hatte.
Er erzählte von dem ersten Zusammensein im Internat und wie es endete, wie sie nach Jahren wieder in Kontakt kamen und sich immer zwischen den Jahren trafen, wenn seine Frau mit ihrem Sohn weg war. »Sonst trafen wir uns unregelmäßig, aber zu diesem Zeitpunkt immer, sechzehn Jahre lang, bis zu ihrem grauenvollen Tod.« Baginski stockte, kämpfte mit den Tränen. Es war mucksmäuschenstill im Saal. Volker hatte Begriffe wie »tragisch« oder »entsetzlich« durch »grauenvoll« ersetzt.
»Wir hatten sechzehn Jahre lang eine Art Affäre, die trotz Unterbrechungen nie ganz aussetzte. Aber wir haben bis zu ihrem letzten Tag nie tatsächlich miteinander geschlafen, weil ich mich zu meinem Entsetzen bei der von mir auf dieser Welt am meisten geliebten Frau als impotent erwies.«
Baginski schien bei diesem Geständnis in sich zusammenzusacken. Männliches Kichern war zu hören. Desirée registrierte, dass der nächste Treffer saß.
Baginski erzählte in knappen Sätzen, nur manchmal stockend, die ganze Geschichte seiner innigen Vertrautheit, der vielen heimlichen Treffen immer auf dem Parkplatz beim Eulenturm in Melsungen mit Ellen Kaiser, obwohl sie noch drei Kinder von zwei anderen Männern bekam. »Bei jeder Schwangerschaft war unsere merkwürdige Affäre für Monate unterbrochen, worunter ich damals außerordentlich litt, doch zu keinem Zeitpunkt habe ich Ellen jemals etwas angetan.« Er sah die Vorsitzende Richterin eindringlich an. »Ich habe, und das müssen Sie mir wirklich glauben, nie einem Menschen körperlich etwas angetan.«
Die Vorsitzende hielt seinem Blick stand, gab keine Regung zu erkennen.
Schließlich kam er auf den letzten Sommer zu sprechen, als Ellen Kaiser erklärte, sie wolle ein Kind von ihm. »Ich erklärte ihr, dass die auch beim Verkehr mit meiner Frau gelegentlich vorkommende Neigung zu Impotenz und Detumeszenz mit, nun ja, mit wiederholter oraler Stimulation überwunden werden könnte.«
Vereinzeltes, teils verwundertes Gelächter im Zuschauerraum.
Am 30. 12. letzten Jahres sei er nach Melsungen gefahren, um mit Ellen Kaiser ein Kind zu zeugen, die bereits festgestellt hatte, ihre empfängnisbereiten Tage zu haben. Sie habe gesagt, sie habe den beiden Töchtern erzählt, sich mit ihm treffen zu wollen, und Sophie erinnere sich noch ganz genau an ihn.
Aller Augen wanderten zu Sophie, und Sophie nickte unwillkürlich. Wieder ein Treffer.
»Wir fuhren in diese Laube, tranken den Wein, und dann, nun ja, dann passierte es. Es, äh …« Baginski räusperte sich. »Sie musste sich sehr große Mühe geben, die beiden ersten Anläufe … Nun, schließlich klappte es. Wir zogen uns wieder an, tranken den Rest des Weins aus, dann brachte ich sie zurück zu dem Parkplatz. Sie stieg aus, und ich fuhr zur Autobahn. Das ist das Geschehen aus meiner Sicht.«
Er senkte und schüttelte gleichzeitig den Kopf, entsetzt über das, was dann geschehen sein musste.
Völlige Stille. Die Vorsitzende hatte Baginski keine Sekunde aus den Augen gelassen.
»Ich möchte das wirken lassen, bevor
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