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Der schlaue Pate

Der schlaue Pate

Titel: Der schlaue Pate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Schnell
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ich den Angeklagten zur Sache vernehme und Sie Ihre Rückfragen stellen können«, sagte sie sehr leise und blickte zur Anklage. »Einsprüche?«
    Die Vertreterin der Nebenklage machte den Mund auf, klappte ihn wieder zu. Die beiden Ankläger schienen völlig verblüfft; nach einigen Sekunden tuschelten sie miteinander. Andreas lächelte breit.
    Desirée fragte sich, was daran so verwunderlich sein mochte.
    Schließlich schüttelten die Ankläger die Köpfe. Offenbar waren sie zu dem Schluss gekommen, die Vorsitzende Richterin nicht gleich am ersten Verhandlungstag verärgern zu wollen.
    »Dann wär’s das für heute gewesen. Wir unterbrechen und setzen fort am 11.   04. um vierzehn Uhr.«
    Es war kurz vor drei Uhr nachmittags. Eigentlich hätte der Verhandlungstag bis vier dauern sollen.

22.
    Am Abend des Ostersonntags versammelte sich das Team zum jährlichen Osterschmaus im Esszimmer des Herrenhauses von Gut Holdorf. Ingrid hatte mit Unterstützung von Andreas und Desirée eines ihrer phantastischen Menüs mit zwei Weinen gezaubert: geröstete Zucchinischeiben mit Ziegenkäse gratiniert und Tomatentatar, Fischterrine mit Lachs und Meerrettich-Joghurt-Creme, Ente à l’Orange mit grünen Bandnudeln und Himbeermousse mit Vanille-Mohn-Soße.
    Draußen schüttete es; es war das kälteste Ostern seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, die Bäume wollten in diesem Jahr einfach nicht grün werden. Auch Baginski war eingeladen gewesen, doch er zog es vor, das Fest mit seinem Cousin Peter Simoneit und dessen Frau Renate in seinem Haus am Tannenwäldchen zu verbringen.
    Anfangs wurde über den Wirbel in Fernsehen, Presse und Internet diskutiert. Die Medien hatten sich bei der Berichterstattung über den ersten Verhandlungstag regelrecht überschlagen. Der Fall Ewald Baginski war mal wieder der Prozess des Jahres. Es herrschte Übereinstimmung, dass die Anklage zwar wasserdicht erscheine, der Angeklagte bei seiner Einlassung jedoch ebenfalls glaubwürdig gewirkt habe. Die Vorsitzende Richterin wurde viel für ihre Fairness gelobt, während ihre Entscheidung, direkt nach der Einlassung des Angeklagten zu unterbrechen, mit Unverständnis kommentiert wurde. Die Experten waren einhellig der Ansicht, sie hätte gleich in die Vernehmung eines offenbar redewilligen Angeklagten einsteigen müssen.
    »Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt«, sagte Desirée beim Dessert.
    »Ziemlich trocken, was?«, meinte Björn Spohr mit seinem wieselartigen Grinsen. Er war zum ersten Mal hier und angemessen beeindruckt vom Ambiente, was er mit flapsigen Sprüchen zu kaschieren suchte.
    Ingrid nickte Prinz zu. »Ich konnte es auch nicht fassen, als ich in deinem Prozess als Zeugin aussagen musste.« Sie wandte sich an Andreas. »Vor allem, dass der Richter die Macht hatte, meine Aussage ohne weitere Begründung als Schutzbehauptung abzutun. Und bei der Wiederaufnahme stand dann nicht mal im Protokoll, was ich gesagt hatte. Das ist bei Grisham alles völlig anders.« Ingrid verschlang Krimis, natürlich auch viele Gerichtsthriller.
    Prinz war verurteilt worden, seinen Vater, einen General im Ruhestand, der in Wahrheit Selbstmord begangen hatte, erschossen zu haben. Ingrid hatte die Leiche gefunden. Prinz war gar nicht da, sondern mit einer verheirateten Frau in einem Hotelzimmer gewesen. Am Abend zuvor hatte es im selben Raum eine Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Vater gegeben, die für einen kurzen Moment in Handgreiflichkeiten ausgeartet war, wobei der General die Pistole hervorholte, die Prinz ihm abnehmen musste, weshalb seine Fingerabdrücke an der Waffe waren. Ingrid rief zunächst Prinz an, der schon vor dem Notarzt eintraf. Die verheiratete Frau weigerte sich, Prinz’ Alibi zu bestätigen. Nachdem sie die Scheidung, großzügigen Unterhalt und das Sorgerecht für die Kinder bekommen hatte, war sie zu einer erneuten Aussage bereit, und Andreas konnte eine Wiederaufnahme vor einem anderen Landgericht durchsetzen, das Prinz »im Zweifel für den Angeklagten« freisprach.
    »Deutsche Richter«, dozierte Andreas und zündete einen Zigarillo an, »haben tatsächlich eine Machtfülle, die praktisch unbegrenzt ist. Das ist in Amerika ganz anders, wo es viel strengere Regeln gibt, an die Richter sich halten müssen, und wo das Urteil von Geschworenen gefällt wird.«
    »Die Bezeichnung ›Schwurgericht‹ ist bloß ein Witz«, warf Spohr ein.
    »Historisch begründet«, erläuterte Andreas. »Geschworenengerichte mit Berufungsinstanz

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