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Der schlaue Pate

Der schlaue Pate

Titel: Der schlaue Pate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Schnell
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durchschnittlicher Gestalt, in keiner Hinsicht bemerkenswert, abgesehen von den knallroten Haaren, vielen Sommersprossen im jungenhaften Gesicht und einer erstaunlich hohen Stimme. Er trug völlig emotionslos vor.
    »Ewald Baginski, in dieser Sache vorläufig festgenommen am 31.   12. letzten Jahres und in Untersuchungshaft der   JVA   Kassel seit dem 01.   01. dieses Jahres aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Kassel vom 01.   01. wird angeklagt, in der Nacht vom 30. auf den 31.   12. letzten Jahres in Melsungen einen Menschen aus Mordlust heimtückisch und aus sonstigen niedrigen Beweggründen getötet zu haben.«
    Er unterbrach sich, blickte zur Richterbank, dann zum Angeklagten. Desirée wusste, die Erwähnung der Justizvollzugsanstalt und das Unerwähntlassen der Fußfessel waren eine Absprache zwischen Gericht, Anklage und Verteidigung; formal befand Baginski sich in Untersuchungshaft, doch die Öffentlichkeit sollte weder wissen, dass er auf freiem Fuß, noch, dass er in der   JVA   angegriffen worden war.
    Ingrid flüsterte ihr zu: »Das war der abstrakte Teil mit dem Gesetzestext. Jetzt kommt der konkrete Teil.«
    Krieg fuhr fort. »Der mit der Zeugin Manuela Baginski verheiratete Angeklagte fuhr am Abend des 30.   12. letzten Jahres mit deren Pkw Typ Daihatsu Cuore, amtliches Kennzeichen«, er trug es vor, »während seine Frau sich mit ihrem Sohn aus erster Ehe bei ihren Eltern in Eutin, Schleswig-Holstein aufhielt, nach Melsungen, um sich dort mit der Geschädigten Ellen Kaiser zu treffen. Gemeinsam begaben sie sich in eine von der Geschädigten gepachtete Laube, wo sie zwei Flaschen Rotwein tranken und anschließend, wohl in gegenseitigem Einvernehmen, Geschlechtsverkehr miteinander hatten. Während die Geschädigte Ellen Kaiser, die sich erkennbar keines Angriffes auf ihr Leben versah, dem Angeklagten in unbekleidetem Zustand –«
    In diesem Augenblick ertönte die kraftvolle Stimme von Adele, die verzweifelt »Someone Like You« schrie. Desirée kramte hektisch nach ihrem Handy, während die Vorsitzende zum ersten Mal ein missbilligendes Gesicht aufsetzte. Es war natürlich Niki, dieser Idiot, immer zum unpassendsten Zeitpunkt. Desirée schaltete aus.
    »Ich will Ihnen mal zugutehalten, junge Frau«, sagte die Vorsitzende mit einem Mal ziemlich laut und streng, »dass Sie zum ersten Mal in diesem Gerichtssaal sind. Hier sind Handys nicht erlaubt. Wenn jemand noch ein Handy anhat, schalten Sie es bitte ab. Das nächste Handy kostet zweihundertfünfzig Euro.«
    Sie ließ das einen Augenblick wirken. Tatsächlich holten einige Leute hastig ihre Geräte hervor. Desirée fragte sich, ob die Richterin eine Ahnung hatte, wer sie war.
    »Bitte fahren Sie unter Wiederholung des unterbrochenen Satzes fort, Herr Staatsanwalt.«
    Krieg räusperte sich. »Während die Geschädigte Ellen Kaiser, die sich erkennbar keines Angriffes auf ihr Leben versah, dem Angeklagten in unbekleidetem Zustand den Rücken zuwandte, stach dieser mit einem in der Laube befindlichen Küchenmesser, Länge zwanzig Zentimeter, Breite drei Komma fünf Zentimeter, scharfe Spitze und geriffelte Schneide, dreimal in rascher Folge von hinten auf sie ein. Keiner dieser Stiche war tödlich. Die Geschädigte wandte sich um, und der Angeklagte stach mit Tötungswillen mehrmals auf ihre Brust und ihren Unterleib ein. Laut Gutachten des anwesenden sachverständigen Rechtsmediziners, Herrn Professor Dr.   Mick, traf der siebte Stich das Herz und war tödlich. Doch der Angeklagte stach noch dreißig weitere Male auf sie ein und zerschnitt anschließend ihr Gesicht. Dann entfernte er sich vom Tatort, fuhr zum Wohnort der Geschädigten, wo die vier Kinder der alleinerziehenden Mutter ahnungslos schliefen, verbrachte dort noch einige Momente und begab sich nach Hause. Die Geschädigte Ellen Kaiser verstarb am 31.   12. letzten Jahres zwischen ein und zwei Uhr morgens in ihrer Laube infolge Herzstillstands, ausgelöst durch den vom Angeklagten abgegebenen siebten Stich. Mindestens fünf weitere der vom Angeklagten abgegebenen Stiche wären nach Ansicht des Sachverständigen Professor Dr.   Mick ebenfalls tödlich gewesen. Damit ist der Straftatbestand des Mordes gemäß Paragraf 211   S t GB   erfüllt, der Angeklagte mit lebenslangem Freiheitsentzug zu bestrafen.«
    Krieg setzte sich.
    Einige Frauen im Zuschauerraum schluchzten leise. Sophie und Jürgen Kaiser starrten Baginski reglos, aber verbissen an. Er hielt ihren Blicken stand, ohne

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