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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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begutachten. Dieser nahm meinen Sohn freundlich in den Arm. Erleichtert atmete ich auf: Offenbar mochte er Kinder!
    »Nun, mein Junge, ich möchte dich etwas fragen. Kannst du mir sagen, was du mit diesem bärtigen Mann in Algerien erlebt hast?«
    »Ja, Monsieur. Es war ein schmutziger und böser Mann. Erhat sein Messer an meinen Hals gesetzt. Dann hat er gesagt, dass er mich schlachten will wie ein kleines Schaf.«
    »Wirklich? Und was ist dann geschehen?«, wollte der Richter wissen.
    »Dann kam Ryan und hat mich gerettet, denn er ist stärker als ich. Mein Bruder ist wie Superman!«, antwortete Elias und blickte zu Ryan hinüber.
    Als dieser die Lobreden seines Bruders vernahm, richtete er sich mit stolzgeschwellter Brust auf. War nicht er der eigentliche Held der ganzen Geschichte?
    »Ich habe ihn gerettet, Monsieur«, versicherte er. »Ich habe dem Mann einen Tritt verpasst, und dann bin ich fortgelaufen, um meinen Vater zu holen, damit er uns hilft und den bösen Mann mit dem Bart umbringt.«
    »Und dann?«
    »Mein Vater ist mit mir gekommen. Er hatte eine Bombe bei sich und hat sie auf den Mann mit dem Bart geworfen. Dann hat er noch eine geworfen und noch eine. Insgesamt waren es sieben Bomben! Mein Vater ist sehr stark. Er ist Soldat und hat Waffen und Bomben!«
    Ich wollte meinen Sohn unterbrechen, doch der Richter bedeutete mir zu schweigen. Als Ryan sich in immer drastischeren Ausschweifungen erging, begann ich zu weinen. Ich wusste, dass mein Sohn mir damit helfen wollte. Er war herzerweichend mit seinen Phantasiegeschichten! Vielleicht glaubte er, dies sei ein neues Spiel. Aber wie würde der Richter auf sein Geflunker reagieren? Würde er begreifen, dass Ryan ihn nur mit seinen kindlichen Mitteln davon überzeugen wollte, dass wir in diesem Land bleiben mussten?
    Meine Töchter schluchzten ebenfalls, und auch unsere Anwältin und Caroline waren den Tränen nahe.
    Um wieder Ruhe im Saal zu schaffen, forderte der Richter Caroline auf, mit den Jungen hinauszugehen. Als Ryan bereits an der Tür war, drehte er sich noch einmal um und kam zurück. Vielleicht spürte er bei dem Richter einen Hauch der väterlichen Zuneigung, die ihm so sehr fehlte.
    »Ich will mit meinen Geschwistern und meiner Mama in Kanada bleiben, für immer! Bitte, Monsieur, lassen Sie uns hier leben!«, flehte er.
    Dann warf er mir noch einen raschen Blick zu, bevor er zu seinen Brüdern nach draußen ging. Für einen Moment schien Ryans spontane Geste den Richter aus der Fassung gebracht zu haben. Aber noch war die Sache nicht gewonnen.
    Die Fragen des Richters gingen weiter, und ich antwortete so ruhig wie möglich. Dann löste ihn die Beisitzerin wieder ab. In scharfem Ton wollte sie wissen, warum ich nicht in Frankreich um Schutz nachgesucht und stattdessen mit meiner Familie das Risiko eingegangen war, illegal den Atlantik zu überqueren.
    Konnte sie denn nicht begreifen, in welcher Situation ich in Frankreich hätte leben müssen? Wäre ich dortgeblieben, wären meine Jungen stets der Gefahr ausgesetzt gewesen, zu ihrem Vater in ihr Heimatland zurückkehren zu müssen, sodass unsere Familie für immer auseinandergerissen worden wäre. Sollten alle meine Erklärungen nichts gefruchtet haben? Ich fühlte mich vollkommen unverstanden. Ich sah mich zwei gefühllosen Menschen gegenüber, die nur auf Gesetze und nicht auf ihr Herz hörten. Unser Schicksal war ihnen offenbar gleichgültig.
    Meine Erschöpfung machte mich verletzlich. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle und sprach laut aus, was mir auf dem Herzen lastete, als hätte ich nichts mehr zu verlieren. Ich wiederholte, dass das, was ich ihnen geschildert hatte, nun einmal unsere traurige Geschichte sei. Dass ich nach allem, was wir durchgemacht hatten, auf ein wenig Mitgefühl hoffte. Dass ich mit meiner ganzen Familie ein Leben in Frieden führen wollte. Wie eine Wölfin, die ihre Jungen beschützen will, schrie ich meine Verstörung heraus und flehte umSchutz. Wenn der Richter ihn mir nicht gewähren wolle, so doch wenigstens meinen Kindern.
    Der Richter unterbrach die Sitzung für eine halbe Stunde, damit ich mich wieder sammeln konnte.
    Ohne es geplant zu haben, hatte ich nun mein Innerstes nach außen gekehrt, all meine Gefühle preisgegeben. Aber ich bereute nichts, obwohl ich mich jetzt völlig ausgelaugt fühlte.
    Langsam begaben wir uns zu den Jungen im Warteraum. Ich war niedergeschlagen, und ein Gefühl der Ohnmacht ergriff mich.
    Wieder bestürmten mich die

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