Der Schlittenmacher
Weltgeschehen, als die Smith Brothers Hustenbonbons verkaufen«, meinte Tilda.
Ich glaube, mit fünf oder sechs Jahren sah ich Tilda zum ersten Mal. Ich erinnere mich noch, wie meine Mutter mich auf den Besuch vorbereitete. »Du wirst heute eine ziemliche Überraschung erleben, Schatz. Tante Constance und Onkel Donald können selber keine Kinder haben. Aber Gott hat dafür gesorgt – nein, ich meine, Gott hat ihr Leben mit einem kleinen Mädchen bereichert. Sie haben ihr den Namen Tilda gegeben. Heute Nachmittag kommen sie alle zusammen zu Besuch.«
Tildas richtige Eltern hatten in Glenholme gelebt, das liegt nicht weit von den Economys entfernt. Es gab keine nahen Verwandten oder niemanden, der die kleine Tilda – sie war damals zwei Jahre alt – zu sich nehmen wollte, als ihre Eltern beide innerhalb von drei Monaten starben. Man sprach von einer »zehrenden Krankheit«, und mehr habe ich nie darüber erfahren.
Jedenfalls hatte meine Tante ihren Zahnarzttermin am nächsten Morgen. Während Tilda im Wartezimmer saß, nutzte mein Onkel die Gelegenheit, um zwei Schlitten vom Bahnhof abzuschicken. Ich fuhr mit. »Meine ersten Kunden in British Columbia«, sagte er. »Weiter weg könnte es in Kanada gar nicht gehen, stimmt’s? Außer vielleicht in die Gebiete der Eskimo, aber ich wäre wohl ein ausgemachter Narr, wenn ich mir einbilden würde, dass die Eskimo einen Schlitten von mir brauchen.
« Um ein Uhr fuhren sie wieder heim. Ich sehe es immer noch vor mir, wie sie aufgebrochen sind. Meine Tante saß in der Mitte, das Gesicht geschwollen, groggy von dem Lachgas. Sie lehnte sich an Tildas Schulter. Als der Wagen meines Onkels fünf oder sechs Häuser weiter war, streckte Tilda, ohne sich umzudrehen, den Arm aus dem Fenster und winkte zum Abschied. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich glaube, Tilda hat damit gerechnet, dass ich ihnen von der Veranda aus nachsah, weil ich nicht wollte, dass sie wegfuhr, und sie hat irgendwie lange vor mir gewusst, dass ich sie liebe, obwohl wir fast überhaupt nicht allein waren und nur Smalltalk hatten.
In Middle Economy wurden mir sehr schnell zwei Dinge zur Gewohnheit. Das eine gab mir mein Onkel vor, das andere entwickelte sich von selbst. Schon am ersten Tag meiner Lehre bestand mein Onkel darauf, dass ich jeden Arbeitstag um sechs Uhr früh in der Küche mit ihm frühstücke, sodass wir um Punkt 6 Uhr 45 in der Werkstatt sein konnten. Das Zweite war, dass ich mit seiner Erlaubnis jeden Tag um zehn Uhr mit meinem DeSoto hinüber in die Bäckerei von Mrs. Cornelia Tell fuhr und in meiner halbstündigen Pause dort einen Kaffee trank. Die Bäckerei lag mitten im Ort zwischen zwei anderen Geschäften – auf der einen Seite MAUD’s SEWING (Maud Dunne saß am Fenster und arbeitete an ihrer Nähmaschine), auf der anderen Seite BAIT AND TACKLE, ein Laden für Fischereiartikel. Schon am ersten Tag stellte ich fest, dass Cornelia Tell nicht allzu viel von höflichen Floskeln hielt. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir einen Scone zum Kaffee zu geben? «, fragte ich, und Cornelia Tell blaffte sofort zurück: »Die Frage ist doch weniger, ob’s mir was ausmacht, sondern ob Sie überhaupt einen Scone wollen.« Ich habe meinen Scone nie wieder so bestellt, das kannst du mir glauben. Ich sagte nur
noch: »Ich hätte gern einen Scone.« Als ich an diesem Vormittag in der Bäckerei saß und einen Preiselbeer-Scone zum Kaffee aß, stand Cornelia Tell hinter der Theke und strich eine Glasur auf ihre Cupcakes. »Wo doch heute Dienstag ist«, sagte sie, »wissen Sie, wen Sie da bei Ihnen zu Hause beim Mittagessen treffen werden?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete ich.
»Sie werden zusammen mit Lenore Teachout in der Küche beim Essen sitzen. Sie kommt eigentlich aus Great Village, das liegt nicht weit von hier die Straße runter. Ihre Eltern leben noch dort.«
»Und warum ist Lenore Teachout heute bei uns zu Hause?«
»Weil sie jeden Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag zu euch nach Hause kommt, mit einer Schachtel Bleistifte, einem Bleistiftspitzer, Schreibheften und einem Lehrbuch mit dem Titel Kurzschrift im Selbstunterricht . Sie klopft an die Tür, und Ihre Tante lässt sie rein und macht Tee. Dann hört Lenore bei euch Radio. Sie schreibt alles auf, was die Leute im Radio sagen. Sie übt Stenografie – wissen Sie, was Stenografie ist, Wyatt?«
»Am Gericht haben sie einen Stenografen, nicht wahr?«
»Stimmt genau. Und so eine Stelle strebt Lenore Teachout an. Und
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