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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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seufzte, was eine Beurteilung meiner Arbeit war. Es machte mir auch nicht allzu viel aus. Schließlich sagte er: »Geh du nur rein, Wyatt. Ich glaub, ich lass heute das Mittagessen aus. Mir ist nicht gut im Magen. Vielleicht bringst du eine Thermosflasche Tee mit, wenn du zurückkommst, okay?«
    »Klar, Onkel Donald.«
    »Du machst das übrigens recht gut. Ehrlich, besser, als ich es erwartet hätte.«
    »Du meinst, es hätte noch schlimmer kommen können. Na ja, trotzdem danke.«
    Als ich durch die Hintertür ins Haus kam, hörte ich Tilda mit jemandem in der Küche reden. Während ich die Schuhe auszog, hörte ich ein bisschen mit. »… seit Wyatt jetzt im Zimmer neben meinem schläft, fühle ich mich nicht mehr wohl dabei, wenn ich in meinem Zimmer nackt herumlaufe. Nicht dass er durch Wände sehen kann oder so. Ich möchte einfach gern – wie drückt es Mom aus? – ›auch im Alltag ein klein wenig elegant‹ sein. Es würde sich irgendwie nicht richtig anfühlen. Jetzt muss ich von den Kleidern direkt ins Nachthemd wechseln, nichts dazwischen. Kein so großes Opfer, nicht? Wenn man bedenkt, wie dankbar Wyatt sein muss, dass er ein Zuhause bei Verwandten hat und eine Arbeit, und dass er nicht ganz allein in Halifax leben muss. Meinst du nicht auch, Lenore?«
    »Doch, das sehe ich genauso«, stimmte Lenore zu.
    »Hast du auch jedes Wort mitbekommen?«, fragte Tilda.

    »Ich glaub schon«, sagte Lenore.
    »Dann lies es mir noch mal vor«, bat Tilda.
    »Weißt du, Lenore«, begann Lenore zu wiederholen, was sie notiert hatte, »seit Wyatt jetzt im Zimmer neben meinem …«, doch ich schlurfte absichtlich geräuschvoll in die Küche. Tilda drehte sich zu mir um, in den Händen ein Tablett mit zwei Tassen Tee, einem Porzellan-Nilpferd voll mit Zucker, zwei Stoffservietten und einem Löffel. »Oh, Wyatt …!«, sagte sie. »Wenn man vom Teufel spricht.«
    Ich schaute weg. Tilda muss gedacht haben, dass ich es aus Verlegenheit tat.
    Dann sah ich Lenore an. Ich verglich sie mit dem Bild, auf dem sie zehn Jahre alt war, und dachte mir, ja, sie dürfte ungefähr siebenunddreißig oder achtunddreißig sein. Sie hatte ein hübsches Gesicht, doch tiefe Sorgenfalten und gewelltes braunes Haar. Sie war ähnlich gekleidet wie Tilda – Jeans, Schuhe mit flachen Absätzen, Flanellhemd. Aber Lenore trug eine Brille. Tilda stellte das Tablett auf den Tisch. »Wyatt«, sagte sie. »Ich möchte dir unsere Freundin und Nachbarin Lenore Teachout vorstellen. Sie ist ziemlich oft bei uns und übt hier Stenografie. Oder die Kunst des Stenografierens. Hast du’s nicht mal so genannt, Lenore – die Kunst des Stenografierens? «
    »Stenografieren allein genügt«, antwortete Lenore. »Freut mich, dich kennenzulernen, Wyatt.«
    »Das musst du dir anschauen, Wyatt«, sagte Tilda. »Da hast du einmal richtige Kurzschrift, auch wenn’s auf den ersten Blick wie Kindergekritzel wirkt, aber das gehört alles zu der Technik. « Ich beugte mich über Lenores Schreibheft. »Ist das das erste Mal, dass du Kurzschrift siehst?«
    »Ja«, antwortete ich.

    Ich starrte Tilda an, und sie starrte zurück. Sie sah hinreißend aus (ich verrate dir später, warum ich das Wort hinreißend verwende). Tilda war zwei oder drei Zentimeter größer als ich und »gut gebaut, ohne sich etwas darauf einzubilden«, wie meine Tante später einmal sagte. Tilda hatte grüne Augen, als Einzige in ihrer Klasse, von der Grundschule bis zur Highschool. Sie hatte einen hübschen Mund und ein Lächeln, das ein bisschen schief war, aber nur ein kleines bisschen. »Wild und widerborstig, mit einem eigenen Willen«, so beschrieb sie ihr dichtes schwarzes Haar. Am Morgen vor der Schule versuchte sie ihre Haarpracht mit hundert Bürstenstrichen zu glätten und mit nicht weniger als acht Haarklammern und zwei Spangen zu bändigen – und trotzdem gab es immer noch Strähnen, die sich widersetzten. Bei Tisch saß Tilda stets kerzengerade da, wie eine Marionette, die aufrecht am Schnürchen hing. Mit elf Jahren hatte sie sich durch einen Sturz von einem Schlitten meines Onkels den Rücken verletzt. Sie war auf einer Eisplatte unter dem Schnee ins Schleudern gekommen und gegen einen Baum gekracht. Als sie aus dem Krankenhaus kam, musste sie noch wochenlang im Bett bleiben. Sie wurde zu einem Spezialisten in Halifax geschickt. Er verordnete ihr verschiedene Übungen, damit sie gelenkig blieb; eine davon war, dass sie zu Hause beim Essen und auch in der Schule immer so aufrecht wie

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