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Der Schlitzer

Der Schlitzer

Titel: Der Schlitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Zeugen waren vertrauenswürdige Personen.
    »Daß du an Geister glaubst, hätte ich dir nie zugetraut«, sagte ich nach einer Weile.
    »Hör auf. Mach dich nicht lustig.«
    »Ich reagiere eben konträr auf diese traurige Umgebung.«
    Bill schnaufte. »Verdammt, john, auch wenn es nicht so aussieht oder noch nicht so aussieht. Ich bin davon überzeugt, daß sich die Zeugen nicht geirrt haben. Sie sahen die Gestalt auf diesem Friedhof, und die Gestalt war kein Mensch.«
    »Es war ein Nebelstreif?«
    Der Reporter verdrehte die Augen. »Nein, auch nicht. Und es war auch keine Halluzination. Die Gestalt schwebte über dem Boden, und die Zeugen sind mit ihr in Kontakt getreten. Sie konnten sie sogar berühren, doch als sie das taten, war da plötzlich nichts mehr. Die Gestalt war da, aber nicht greifbar. Die konnten durch sie hindurchfassen. Sie waren eben ein Geist. Auch nicht grau, sondern aus der Entfernung sah sie feinstofflich aus. Sie kam herbei, man konnte sie greifen, sie verdichtete sich, wie man mir sagte, und dann war sie so nahe wie ein normaler Mensch. Doch wer sie anfassen wollte, dessen Hand glitt hindurch, obwohl sie aus der Nähe nicht mehr feinstofflich aussah, sondern völlig normal. Das ist eben das große Rätsel.«
    »Eine lange Rede!« stellte ich fest.
    Bill nickte. »Richtig, und auch eine gute.«
    »Fragt sich nur, ob sie zutrifft.«
    Mein Freund nickte und hüpfte auf der Stelle. Ihm war ebenso kalt wie mir. Das Wetter paßte uns beiden nicht. Die nasse Kälte drang durch unsere Kleidung, und ich dachte daran, meine schwarze Lederjacke zuzuknöpfen, ließ es aber bleiben und vertraute meinem vor der Brust verknoteten Schal.
    Wir waren nicht die einzigen Menschen auf dem Friedhof. Der November schien eine magische Anziehungskraft auf gewisse Menschen auszuüben, denn in diesem Moment besuchten sie die Friedhöfe öfter als sonst. Da wurde der Toten gedacht, da wurden die Gräber gepflegt, da flössen Tränen, da dachten viele über die vergangenen Monate nach, und so mancher nahm sich vor, sein Leben zu ändern und sich etwas stärker um die wahren Dinge des Lebens zu kümmern.
    Der November machte eben traurig und nachdenklich zugleich, was nicht immer verkehrt sein mußte.
    »Wenn du diesen Geist doch selbst gesehen hättest, Bill, wäre mir wohler.«
    »Das passiert noch.«
    »Wann?«
    »Heute.«
    »Davon bist du überzeugt?«
    »Ja.«
    Ich lächelte, und Bill preßte die Lippen zusammen. Meine Bemerkungen hatten ihn leicht geärgert. Er wußte selbst, daß seine Behauptungen auf schwachen Füßen standen, und als wir die Trittgeräusche hörten, schauten wir nach links. Vor uns lief der schmale Weg entlang. Er war mit altem Laub dekoriert, das einen dünnen Teppich auf Kies und Steine gelegt hatte.
    Zwei Frauen schälten sich aus dem Dunst. Sie waren dunkel gekleidet und hatten sich somit der traurigen Umgebung angepaßt. Sie schauten zu Boden und unterhielten sich flüsternd miteinander, erschreckten sich dann, als sie unsere Höhe erreicht hatten.
    »Pardon«, entschuldigte sich Bill.
    »Sie stehen hier wie zwei Grabsteine«, sagte die eine Frau.
    »Wir wollten Sie nicht erschrecken.«
    »Ja, ja.« Die Frau schaute sich um. »Warten Sie vielleicht auf jemand?«
    Bill räusperte sich. »Worauf sollten wir denn warten?« erkundigte er sich.
    Die beiden Frauen blickten sich an. Ihre Gesichter waren blaß, die Augen vom Weinen leicht gerötet. Sie wollten nicht so recht mit der Sprache heraus, es schien ihnen unangenehm zu sein, doch ich ahnte schon, welchen Verdacht sie hatten und kam ihnen zuvor. »Ja, wir warten auf den Geist.«
    Sie schwiegen. Dann kamen sie näher, als hätten sie Angst davor, daß sie jemand hören könnte. »Dann haben Sie ihn auch gesehen, Gentlemen? Haben Sie das?«
    »Nein, haben wir nicht«, sagte Bill. »Aber Sie würden ihn gern sehen.«
    »Das schon eher.«
    »Er ist da!« hauchte die Sprecherin. »Er ist bestimmt da.« Sie blickte sich um, ohne allerdings das Objekt zu entdecken. »Ich bin davon überzeugt, daß er da ist.«
    »Haben Sie ihn heute schon entdeckt?«
    »Nein, aber gestern.«
    »Wirklich?«
    »Ja, Mister, ja.« Sie nickte. »Da schlich er dicht an uns vorbei. Er war ein dunkler Mann, und er ging auf dem Weg. Aber stellen Sie sich vor, es war kein Laut zu hören. Nichts vernahmen wir. Die Stille war absolut. Nicht einmal ein Windzug traf uns, wir hörten auch kein Rauschen oder Flüstern, kein Knistern des Laubs, einfach gar nichts. Er ging und

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