Der Schlitzer
Bill.
Knochen, Fleisch und Muskeln hatten sich zu einer kompakten Masse zusammengeschoben und waren dabei, sich aufzulösen, denn immer mehr Schleim tropfte hinein. Es war einfach zu spät, um einen Rettungsversuch zu starten, der Schlitzer erlebte den schrecklichsten Tod, der vorstellbar war. Bill wußte auch, wie es weiterging. Diese verdammte Blase war unersättlich, sie würde sich auf alles Lebendige und Lebende zubewegen, es in sein Innerstes holen und es vernichten. Nur Bill selbst konnte sie vernichten — und natürlich John Sinclair durch sein Kreuz. Aus dem rechten Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Es war Lucy, die über den Boden kroch, um zu sehen, was geschehen war. Sie konnte nicht aufstehen, etwas war mit ihrem Bein. Beim Fall von der Treppe mußte sie sich verletzt haben. Sie hatte Angst um ihren Bruder, und sie hatte nicht sehen können, was mit ihm geschehen war.
»Bleiben Sie weg!« schrie Bill.
»Nein, nein!« kreischte sie. Lucy wollte und konnte nicht anders, sie war wie besessen. Sie ließ sich von Bills Warnungen nicht stoppen, riß ihren Oberkörper noch einmal hoch, ohne jedoch auf die Beine zu kommen, und dann sah sie, was geschehen war.
Sie erlebte eine Hölle, wie sie grausamer nicht sein konnte. Bill schaute zu, er sah die verzerrte Fratze des Schreckens, die aus dem Gesicht geworden war. Er sah die weit aufgerissenen Augen, die aus den Höhlen zu quellen drohten, und er hörte dann ihren wilden, spitzen und unkontrollierten Schrei. Sie riß die Arme hoch, preßte sie vors Gesicht und fiel nach vorn.
Zusammengekrümmt und wimmernd blieb sie liegen, nicht mehr fähig, irgendeine andere Reaktion zu zeigen.
Bill warf einen Blick auf die Blase.
Sie war noch da, und auch ihr Inhalt war noch vorhanden. Ein zusammengefallener Haufen mit Knochen, Fleisch-und Haarresten!
Aber das ›Ei‹ wanderte weiter. Er war gefräßig, es wollte Opfer. Bill mußte es vernichten.
Unter dem Drücker befand sich ein kleiner Hebel. Er verschoß hauchdünne Bolzen, nicht dicker als Nadeln, und sie schafften es, die Blase zu vernichten.
Der Reporter spürte wieder das Zucken der Waffe, als der Bolzen sie verließ. Hart stieß er in das schleimige Oval hinein, und zerriß es im selben Sekundenbruchteil.
Nichts blieb von ihm zurück. Nur von dem Opfer.
Bill schluckte, als er den Rest sah. Dann ging er die zweite Treppe hoch, um seinen Freund John Sinclair zu holen…
***
Bill Conolly hatte mich die Treppe hochgeschleppt und in die Wohnung getragen, wo ich Sheila sah. Auch Suko und Shelly Wagner waren gekommen, die mich umstanden, denn ich lag auf einer weichen Couch und konnte es noch immer nicht so recht fassen, gerettet worden zu sein. Das war die Nacht des Bill Conolly gewesen. Wäre er nicht gewesen, wäre der Plan des Schlitzers aufgegangen.
Lucy Freemann war von einem Krankenwagen abgeholt worden und befand sich auf dem Weg in die Klinik. Sie hatte nur dumpfe Worte gemurmelt, stand unter einem schweren Schock, und um sie würden sich die Ärzte kümmern.
Um mich kümmerte sich Sheila, die mir einen Whisky reichte. Ich trank das Zeug in kleinen Schlukken, es wärmte mich durch, beinahe so wie die Decke, die jemand über meinen Körper ausgebreitet hatte. Allmählich kam ich wieder zu mir und konnte auch über das Vergangene nachdenken. Was Freeman da geleistet hatte, war unglaublich. Ich ging auch davon aus, daß er nicht der einzige war, der sich mit derartigen Experimenten beschäftigte. Nur hatte er es wahrscheinlich am weitesten gebracht. Wie ich die Forschung und die Welt kannte, würde es nicht lange dauern, bis andere Kollegen ihn eingeholt hatten, und ich konnte nur hoffen, daß sie auch kontrolliert wurden.
Ich stellte das leere Glas zur Seite und stemmte mich auf die Beine. »Ja, das ist es wohl gewesen«, sagte ich leise. »Wir können nur hoffen, daß sich derartige Dinge nicht so schnell wiederholen.« Nach diesen Worten klärte ich meine Freunde über das hinter mir liegende Grauen auf. Ihren Gesichtern sah ich an, daß sie meiner ersten Bemerkung voll und ganz zustimmten…
ENDE
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