Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
wird.« Oder auch nicht, dachte sie, tippte die Titel ein und machte sich einen Vermerk, die Zeilen wieder zu löschen, bevor sie die Arbeit an Fellmis weiterreichte. Bis dahin würde es noch gut zwei Jahre dauern, bei dem Tempo, mit dem sie vorankam. Und dann konnte sie von vorne anfangen, weil die Daten veraltet waren oder irgendein Ereignis alles auf den Kopf gestellt hatte. Die Szene veränderte sich schnell, Sekten verschwanden, andere tauchten auf; es waren mehr als zweihundert, die polizeilich bekannt waren. Manche hatten nur wenige Mitglieder, andere agierten international.
Ihr Telefon begann hektisch zu blinken. Eine Hamburger Nummer. Sie zuckte mit den Achseln, hob ab und sagte: »Ja?«
Eine warme Männerstimme meldete sich, und Fran fiel ein, dass sie schon lange keinen Mann mehr auf eine andere Art berührt hatte als Bruno. »Kriminalhauptkommissar Albert Neusen, KK 1, Hamburg. Spreche ich mit der Kollegin Franziska Miller?«
Neusen klang nicht nur freundlich, er schien auch bester Laune zu sein. Und er sprach sie als Kollegin an, das gefiel ihr.
»Richtig, Kollege Neusen. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Indem wir zuerst mal die förmliche Anrede weglassen. Okay?«
Dieser Albert Neusen war nach Frans Geschmack. »Klar, kein Problem. Nenn mich Fran.«
»Gut. Ich bin Albi.«
Fran unterdrückte ein Lachen. Ob Albi so aussah, wie er hieß? Unter Albi konnte sie sich nur ein spitzmausartiges Gesicht mit weißem Haar vorstellen, aber die Stimme passte einfach nicht.
»Was kann ich für dich tun, Albi?«
Sie klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter ein undtippte seinen Namen lautlos in Google ein, Bildersuche. Die Suchmaschine brauchte keine hundertstel Sekunde. Fran bestaunte das Bild. Albi war Anfang dreißig, hatte eine leicht gegelte Igelfrisur, die ihm etwas Spitzbübisches verlieh, einen sinnlichen Mund und braune harmlose Rehaugen. Ein Mädchenschwarm.
»Ich glaube, ich habe etwas sehr Interessantes für dich. Du bist doch die Teufelsbraut, die sich mit Satan auskennt? So jemanden wie dich haben wir hier in Hamburg nicht.«
»Das spricht nicht gerade für Hamburg.«
Albi kicherte. »Wir haben genug ›Leibhaftige‹, aber die kommen nicht aus der Hölle, sondern sind leider ganz reale Menschen.«
»Na gut. Bei mir bist du jedenfalls richtig, wenn du eine Teufelsaustreibung brauchst.«
»Ich fürchte, meinem Klienten ist genau das geschehen. Allerdings hat ihn das wahrscheinlich seine Seele und mit Sicherheit sein Leben gekostet.«
*
Es ist genau dieser Moment, den ich liebe: der Moment, bevor der erste Blitz durch die Wolken fährt, der erste Donner durch die Stadt rollt, der die Mauern in Schwingungen versetzt. Natürlich sind die großen Blitze, die nur ein paar Hundert Meter entfernt einschlagen, eine Klasse für sich, mit ihrem Getöse, das in den Ohren wehtut, das die Scheiben zum Klirren bringt. Aber es geht nichts über den ersten Blitz und den ersten Donner – das ist der Moment, der mir eine Sekunde der Ruhe gibt, eine Sekunde, in der ich mich lebendig fühle. Aber der Moment ist so schnell wieder vorüber, dass ich ihn nicht festhalten kann, so schnell, dass mir nach ein paar Stunden dieErinnerung daran verloren geht und ich wieder zurücksinke in mein tägliches Leiden. Also muss ich dafür sorgen, dass ich etwas bekomme, das der heilenden Energie eines Gewitters gleichkommt.
Ich betrachte den Mann, der vor mir auf dem Thron festgeschnallt liegt, und sehe die Panik in seinen Augen. Ich trage eine Clownsmaske, er darf mein Gesicht nicht sehen, noch nicht. Dieser einfache Geist, der den Namen Friedel Frenzen trägt, wird glauben, er sei in der Hölle. Und letztlich trifft das absolut zu. Wie ein Tier spürt er, dass er verloren ist. Seine Fantasie beginnt zu arbeiten, ich sehe es in seinen Augen; das ist nicht immer so, manche Seelen verhüllen sich, versuchen zu leugnen, dass sie in der Gewalt des unaussprechlichen Bösen gefangen sind. Aber Friedel weiß, was ihn erwartet. Nicht jedes Detail, aber er spürt, dass sein Leben bald zu Ende sein wird. Und er fürchtet zu Recht, dass es bis dahin ein langer Weg sein wird. Was er nicht weiß: Sein Name wird noch in Jahrhunderten genannt werden, in einem gehauchten Atemzug mit seinem Henker, mit mir, der ebenbürtig eingereiht sein wird in die Galerie der genialen Menschen, die etwas gewagt haben, die etwas vollbracht haben, das noch niemand vor ihnen gewagt hat. Ich werde so berühmt sein wie Kolumbus, Pizarro, Einstein,
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