Der Schneider
Firma deklariert haben, als es noch möglich war, Harry. Eine gutgehende Schneiderei als Sicherheit für eine Reisfarm herzugeben, der das Wasser ausgegangen ist, das war schon ziemlich unklug.«
»Aber, Ramón – Sie selbst haben damals darauf bestanden«, widersprach Pendel. Doch schon untergrub die Schmach seine Entrüstung. »Sie haben gesagt, Sie könnten das Risiko mit der Reisfarm nur übernehmen, wenn wir die beiden Geschäftszweige zusammenlegten. Das war eine der Bedingungen für das Darlehen. Na schön, es war mein Fehler, ich hätte nicht auf Sie hören sollen. Aber ich habe auf Sie gehört. Wahrscheinlich haben Sie damals für die Bank gesprochen, nicht für Harry Pendel.«
Sie sprachen über Rennpferde. Ramón besaß ein paar. Sie sprachen über Landbesitz. Ramón besaß ein Stück Küste an der Atlantikseite. Vielleicht sollte Harry mal an einem Wochenende hinausfahren und eine Parzelle erwerben, auch wenn er dort nicht gleich in den ersten Jahren bauen würde; Ramóns Bank könne mit einer Hypothek behilflich sein. Aber Ramón sagte nicht, daß er Louisa und die Kinder mitbringen solle, dabei ging auch seine Tochter auf die Maria Immaculada, und die beiden Mädchen waren miteinander befreundet. Und, zu Pendels enormer Erleichterung, hielt er es auch nicht für angebracht, die zweihunderttausend Dollar zu erwähnen, die Louisa von ihrem Vater geerbt hatte und die Pendel für sie hatte anlegen sollen.
»Haben Sie versucht, Ihr Konto auf eine andere Bank zu transferieren?« fragte Ramón Rudd, nachdem alles Unsagbare ungesagt geblieben war.
»Ich kann mir nicht denken, daß man sich derzeit um mich reißt, Ramón. Warum fragen Sie?«
»Ich hatte einen Anruf von einer Handelsbank. Man hat mich über Sie ausgefragt. Kreditwürdigkeit, Verbindlichkeiten, Umsatz. Alles Dinge, über die ich niemandem Auskunft erteile. Selbstverständlich nicht.«
»Die spinnen. Die müssen mich mit jemand anderem verwechseln. Welche Handelsbank war denn das?«
»Eine britische. Aus London.«
»Aus London ? Die haben Sie angerufen? Meinet wegen? Wer? Welche? Ich denke, die sind alle pleite.«
Ramón Rudd bedauerte, keine näheren Auskünfte geben zu können. Selbstverständlich habe er ihnen nichts gesagt. Abwerbungen interessierten ihn nicht.
»Was für Abwerbungen, um Himmels willen?« rief Pendel.
Aber Rudd schien die Sache schon fast vergessen zu haben. Referenzen, sagte er vage. Empfehlungen. Kein Thema. Harry sei doch ein Freund.
»Ich hätte gern einen Blazer«, sagte Ramón Rudd, als sie sich die Hände schüttelten. »Marineblau.«
»Ein Blau wie das hier?«
»Dunkler. Zweireihig. Messingknöpfe. Schottische.«
In einem Anfall von Dankbarkeit erzählte ihm Pendel von den sagenhaften neuen Knöpfen, die er von der Londoner Badge & Button Company geliefert bekommen habe.
»Die könnten Ihnen welche mit Ihrem Familienwappen machen, Ramón. Oder wie wär’s mit einer Distel? Dem Emblem Schottlands? Und dazu dann noch die passenden Manschettenknöpfe.«
Ramón sagte, er werde darüber nachdenken. Da Freitag war, wünschten sie sich ein schönes Wochenende. Und warum auch nicht? Noch war es ein ganz gewöhnlicher Tag im tropischen Panama. Gewiß, es gab ein paar Wolken an seinem privaten Horizont, aber mit dergleichen war Pendel noch immer fertiggeworden. Eine Londoner Fantasiebank hatte mit Ramón telefoniert – aber wer weiß, vielleicht auch nicht. Ramón war sicher ein ganz netter Bursche, ein geschätzter Kunde, solange er zahlte, und sie hatten schon manches Glas miteinander geleert. Aber wenn man dahinterkommen wollte, was in seinem spanisch-schottischen Schädel wirklich vorging, mußte man schon den Doktor in außersinnlicher Wahrnehmung gemacht haben.
Wenn er in seiner kleinen Nebenstraße ankommt, fühlt Harry Pendel sich jedesmal wieder in Sicherheit. An manchen Tagen quält er sich mit der Vorstellung, sein Geschäft könnte verschwunden sein, ausgeraubt oder von einer Bombe zerstört. Oder er malt sich aus, es habe überhaupt nie existiert, sein verstorbener Onkel Benny habe ihm damit nur ein Hirngespinst in den Kopf gesetzt. Aber der heutige Besuch bei der Bank hat ihn beunruhigt, und sein suchender Blick heftet sich an die Ladenfront, sobald er in den Schatten der hohen Bäume einbiegt. Eigentlich bist du ja ein Haus, sagt er zu den rostrosa spanischen Dachziegeln, die ihm durchs Laubwerk entgegenschimmern. Du bist gar kein Geschäft. Du bist ein Haus, wie ein Waisenkind es sich sein
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