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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Leben lang erträumt hat. Wenn Onkel Benny dich jetzt nur sehen könnte:
    »Siehst du den blumengeschmückten Eingang?« fragt Pendel seinen Onkel und stößt ihn an. »Lädt das nicht zum Eintreten ein, verheißt das nicht angenehm kühle Räumlichkeiten, wo du bedient wirst wie ein Pascha?«
    »Harry, mein Junge, das ist fantastisch«, erwidert Onkel Benny und berührt mit beiden Handflächen die Krempe seines Homburgs, wie er es immer getan hat, wenn er etwas ausheckte. »Bei einem solchen Geschäft könnte man glatt ein Pfund Eintritt nehmen.«
    »Und das gemalte Ladenschild, Benny? P & B, zu einem Wappen verschlungen. Das macht den Namen des Ladens in der ganzen Stadt bekannt, überall, ob im Club Unión oder in der gesetzgebenden Versammlung oder gar im Palast der Reiher. ›Mal wieder bei P & B gewesen? – Da geht der alte Soundso in seinem Anzug von P & B.‹ So reden die Leute hier, Benny!«
    »Ich habe es bereits gesagt, Harry, und ich sag’s noch einmal. Du hast rednerisches Talent. Du bist ein Tausendsassa. Ich frage mich nur, von wem du das haben könntest.«
    Nachdem er sich so halbwegs wieder Mut gemacht und Ramón Rudd halbwegs vergessen hat, geht Harry Pendel die Stufen hoch und beginnt seinen Arbeitstag.

2
    Osnards Anruf, etwa um halb elf, löste keinerlei Unruhe aus. Er war ein neuer Kunde, und neue Kunden mußten zu Señor Harry durchgestellt werden oder wurden, wenn er beschäftigt war, gebeten, ihre Nummer anzugeben, damit Señor Harry umgehend zurückrufen konnte.
    Pendel war gerade im Zuschneidezimmer, wo er aus braunem Papier die Schnittmuster für eine Marineuniform anfertigte und dabei Gustav Mahler hörte. Das Zuschneidezimmer war sein Allerheiligstes, niemand außer ihm durfte dort arbeiten. Den Schlüssel dazu trug er stets in der Westentasche. Um den Luxus dieses Schlüssels zu genießen, schob er ihn manchmal ins Schloß und sperrte sich ein, zum Beweis, daß er der Herr im Hause war. Und bevor er die Tür wieder aufschloß, bevor er den schönen Tag fortsetzte, verharrte er manchmal noch einen Augenblick in unterwürfiger Haltung, den Kopf gesenkt und die Füße nebeneinander. Niemand sah ihn dabei, außer jenem Teil seiner selbst, der bei seinen theatralischeren Handlungen den Zuschauer spielte.
    Hinter ihm, in ähnlich großen Räumen, unter hellen neuen Lampen und elektrischen Ventilatoren, nähten und bügelten und schwatzten seine verwöhnten Angestellten aus aller Herren Länder mit einem Ausmaß an Freiheit, von dem andere Arbeitnehmer in Panama gewöhnlich nur träumen können. Doch niemand arbeitete mit mehr Hingabe als ihr Arbeitgeber Pendel, wenn er innehielt, um einer Melodie Mahlers zu folgen, und dann mit geschickten Schnitten seiner Schere an dem gelben Kreidestrich entlangfuhr, aufgezeichnet nach den Schulter- und Rückenmaßen eines kolumbianischen Flottenadmirals, der nur von dem Wunsch beseelt war, seinen geschaßten Vorgänger an Eleganz zu übertreffen.
    Die Uniform, die Pendel für ihn entworfen hatte, war ganz besonders prächtig. Die weiße Kniebundhose – bereits bei seinen italienischen Hosenschneiderinnen in Arbeit, die ein paar Türen weiter untergebracht waren – sollte am Gesäß hauteng anliegen, so daß man zwar darin stehen, aber nicht sitzen konnte. Der Rock, den Pendel jetzt eben zuschnitt, war weiß und marineblau mit goldenen Epauletten und betreßten Manschetten, goldenem Schnurbesatz und hohem Nelson-Kragen, bestickt mit eichenlaubumkränzten Schiffsankern – eine phantasievolle Dreingabe Pendels, die dem Privatsekretär des Admirals auf Pendels gefaxter Skizze sehr gefallen hatte. Pendel hatte nie so recht verstanden, was Benny mit dem »Tausendsassa« gemeint haben könnte, aber wenn er sich diese Skizze ansah, wußte er, daß er einer war.
    Und während er weiter zur Musik zuschnitt, begann sich sein Rücken emphatisch zu wölben, bis er zum Admiral Pendel wurde und die große Treppe zu seinem Antrittsball hinabschritt. Solch harmlose Fantasien konnten seiner Kunstfertigkeit nichts anhaben. Der ideale Schneider, dozierte er gern – in dankbarer Erinnerung an seinen verstorbenen Partner Braithwaite –, ist ein geborener Imitator. Seine Aufgabe ist es, sich in die Kleider desjenigen zu versetzen, für den er arbeitet, und darin zu leben, bis der rechtmäßige Besitzer sie abholt.
     
    In diesem glücklichen, abgehobenen Zustand ereilte ihn Osnards Anruf. Zunächst hatte Marta abgenommen. Marta war seine Empfangsdame, Telefonistin,

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