Der Schockwellenreiter
den Kommunikator, der ihm so nützlich gewesen war, wieder aus, packte ihn zusammen, verbarg ihn unauffällig in der Innentasche der ihm ausgehändigten Jacke, hängte die Jacke über die Lehne eines Stuhls, kleidete sich wie gewöhnlich aus und ging ungefähr zur gewohnten Zeit ins Bett.
Was sich daraus ergab, war eine Miniatur - ein Mikrokosmos - seines Lebens, zusammengedrängt auf nicht mehr als fünfunddreißig Minuten.
Zu unfeststellbarer nächtlicher Stunde weckte ihn der stille, namenlose, in Weiß gehüllte Aufpasser und befahl ihm, sich anzuziehen, unbeeindruckt infolge dieser Abweichung von der Routine, denn man mochte durchaus von ihm erwarten, daß er Unvorhersehbarkeiten als Routine ansah. Dergleichen war auch hier, wie seit Jahrhunderten üblich, eine billige, einfache Methode, um einem Verhör ausgesetzte Personen zu zerrütten. Er ging voraus in einen Raum mit zwei Türen, der abgesehen von diesen und einer Sitzbank leer war; bis dahin reichten seine Anweisungen; er erteilte dem Gefangenen knapp den Befehl, Platz zu nehmen und zu warten, dann entfernte er sich gleichgültig. Für kurze Zeit herrschte Stille. Schließlich öffnete sich die andere Tür, und eine rundliche Frau trat ein. Sie gähnte. Mit sich brachte sie einen Plastiksack voller Kleidungsstücke und ein Klemmbrett mit einem Formular daran. Mißgelaunt forderte sie den Empfänger zum Unterschreiben auf, und er tat es, verwendete dabei den Namen, den zu lesen sie erwartete; es war nicht sein eigener. Damit zufrieden, verschwand die Frau wieder und gähnte dabei noch herzhafter als zuvor.
Er legte die Kleidung an, die sie ihm ausgehändigt hatte: ein weißes Jersey-Hemd, eine blaugraue Hose, eine blaue Jacke -Sachen, die gut paßten, unauffällig waren und sich niemandem ohne besondere Umstände einprägten. Er stopfte in den Plastiksack, was er vorher getragen hatte, und verließ den Raum durch jene Tür, hinter der die Frau verschwunden war, und gelangte in einen Korridor mit mehreren Türen. Er passierte drei davon, zwei zur Rechten, eine links, kam an eine Müllklappe und warf den Sack hinein. Zwei Türen weiter befand sich ein unverschlossenes Büro. Unter anderem war es mit einem Computer-Terminal ausgestattet. Er drückte eine der Tasten der Input-Konsole. An einem Aktenschrank, der daran grenzte, öffnete sich eine bisher verschlossen gewesene Schublade. Unterm Inhalt der Lade waren auch Sonder-ID-Karten jener Art, wie man sie an dienstliche Besucher des Centers ausgab. Unterdessen begann die Ausgabe des Computer-Terminals zu summen und streckte eine flinke Zunge aus Papier heraus. Derselben Schublade, worin er die ID-Karten gefunden hatte, entnahm er eine Neopolaroid-Farbbildkamera, stellte sie auf Selbstporträt ein und legte sie auf einen nahen Tisch. Er setzte sich davor zurecht, wartete die paar erforderlichen Sekunden ab, entnahm den Film, drückte sein Foto auf eine ID-Karte und siegelte es darauf mit einer klaren Flüssigkeit fest, die er, den Angaben der Computer gemäß, ebenfalls in der Schublade entdeckte. Zum Schluß tippte er seinen falschen Namen und den Rang eines Majors im Sanitätskorps der US-Armee auf die Karte.
Inzwischen hatte das Terminal geliefert, womit es beauftragt worden war: das Duplikat einer Überstellung von Kate Grierson-Lilleberg in den Gewahrsam der US-Armee. Dank der Herstellung mit einem Lichtschreiber, der im Gegensatz zu den alten mechanischen Druckverfahren keine Beschränkung auf einen bestimmten Typensatz kannte - nicht einmal auf ein bestimmtes Alphabet, denn jeder einzelne Buchstabe entstand durch einen Minimal-Laserstrahl -, hätte nur die Überprüfung unter einem Mikroskop enthüllt, daß es sich nicht um ein Exemplar des Standardformulars RQH-4479 der US-Armee handelte, das zur Überführung eines Gefangenen vom zivilen in den militärischen Gewahrsam diente.
Nun mit den geeigneten Mitteln ausgerüstet, brachte er alles wieder in Ordnung, was er benutzt hatte, und drückte eine andere Taste des Terminals, um den letzten Teil des von ihm eingegebenen Programms zu aktivieren, dann verließ er das Büro. Gehorsam schlossen die Überwachungsanlagen wieder den Aktenschrank und die Tür des Büros, löschten die Tatsache aus den Speichern, daß sie überhaupt geöffnet worden waren, und vermerkten statt dessen den >Fakt<, daß eine Sonder-ID-Karte infolge Verschreibens fortgefallen sei und sich deshalb eine weniger auf Vorrat befand als die Anzahl der Besuchern zugeteilten Karten.
Die
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