Der Schönheitschirurg
seinem Hirn nachjagen, er hörte nichts von der Welt außer dem gelegentlichen Grollen der Kanonen über den Ärmelkanal.
Der Chefarzt des Sanatoriums war ein Schotte mit traurigem Gesicht, dessen ausgemergelte Gestalt und Trommelschlegelfinger geschulten Augen verrieten, daß er sich an seiner eigenen Krankheit rächen wollte, indem er den Rest Leben, den sie ihm gelassen hatte, daransetzte, andere davon zu heilen. Er pflegte am Krankenbett zu erklären: «Nur Mutter Natur kann Tuberkulose heilen, nicht der Arzt. Wir sorgen für frische Luft, Ruhe, geeignete Diät, eine sorgsam ausgewogene Lebensweise - wir sind nur die Handlanger der Mutter Natur, wir stehen ihr zur Seite, während sie die Heilung übernimmt.»
Sein Patient fand, daß er damit zumindest die Unzulänglichkeiten des Sanatoriums von vornherein entschuldigte.
Viel mehr als der verzweifelte Wunsch, gesund zu werden, war es seine Ungeduld, herauszukommen, die ihn dazu brachte, den Chefarzt um spezifischere Heilmittel als die der Mutter Natur zu bitten. Er stöberte aus seinen halbvergessenen Vorlesungen Geheimmittel hervor wie injiziertes Gold, Kreosolinhalationen oder Jod, das auf geheimnisvolle Art im Innern des Körpers zur Desinfektion frei gemacht wurde, indem man Chlor trank. (Es fiel ihm ein, daß das höchstwahrscheinlich widerlich schmecken würde.) Der Oberarzt aber blickte trauriger denn je und sagte: «Placebos, Placebos! Ich möchte weder Ihren Körper noch Ihre Intelligenz beleidigen, Dr. Trevose. Viel wichtiger als jedes Medikament der Welt sind Ihre Willenskraft, Ihr Genesungswille, Ihre Charakterstärke!»
Für den jungen Graham Trevose war diese presbyterianische Nüchternheit höchst deprimierend. Schon seit Jahren argwöhnte er, daß seine Charakterstärke noch fragiler war als seine Brust.
Grahams Unglück hatte um zwei Uhr früh begonnen, zu jener Stunde, in der die menschliche Widerstandskraft ein geheimnisvolles Tief erleiden soll. In der Mythologie der Spitalschwestern ist es die Stunde, da Geburt oder Tod am liebsten den menschlichen Körper erschüttern. Er war aufgewacht und hatte beim Husten einen salzigen Geschmack im Mund. Im Licht der hastig entzündeten Kerze starrte ihn ein beängstigender roter Fleck auf dem Leintuch an. Als John Keats, ein anderer junger Arzt, das gleiche beunruhigende Erlebnis hatte, rief er in poetischer Gedankenschnelle aus, er sehe das Siegel auf seinem Todesurteil. Graham kam nur ein weit weniger dramatischer Gedanke - jetzt würde er dem Militärdienst entkommen.
Es waren mehr als drei Jahre vergangen, seit die meisten seiner Studienkollegen vom Blackfriars Hospital zu Kitcheners Armee gegangen waren, im selben Geist, in dem sie zu einem Fußballmatch auszogen. Doch da offensichtlich kein Ausbildungsunteroffizier irgendeine Verwendung für Grahams kümmerliche Figur haben konnte, blieb er bei seinen Büchern, ertrug tapfer Unannehmlichkeiten wie die Zeppeline und den Makel des Drückebergers, bis er vor Weihnachten 1917 promovierte. Dann zeigte sich, daß König und Vaterland seine neuen Qualifikationen brauchten, wenn sie auch noch so unzureichend verkörpert waren, und der Wehrdienst drohte ihn zusammen mit den anderen Übriggebliebenen zu erfassen.
Da der Erste Weltkrieg zwangloser war als der Zweite, konnte seine Tante Doris ihren Bruder, einen Kapitän in der Königlichen Marine, den Graham schon von Geburt an nicht leiden konnte, dazu überreden, sich für den jungen Mann einzusetzen. Es wurde beschlossen, daß Graham eine Kommission als Assistenzarzt erhalten und dem Kommando seines Onkels zugeteilt werden sollte, der Inviolable, einem nagelneuen, mit Geschützen bespickten Kriegsschiff, dessen Seiten so dick waren wie die Mauern einer mittelalterlichen Festung. Die Admiralität versicherte Freund und Feind, daß das Schiff unversenkbar sei. Tante Doris dachte, die Meeresluft würde ihm guttun.
Doch sollte ein Bluthusten in einer kalten Januarnacht des Jahres 1918 diesen und andere, weniger unmittelbare Pläne ändern. Alle Hausbewohner wurden geweckt, die Gasfeuer entzündet, Wärmeflaschen gefüllt, ein Feuer in seinem Schlafzimmer entfacht, trotz des entmutigenden Kohlenstands im Keller. Später wurde ein Lungenfacharzt vom Blackfriars Hospital, Dr. James Wedderburn, Mitglied der Königlichen Medizinischen Gesellschaft, wohlgenährt, wohlhabend und mit Kotelettenbart, von seinem Frühstück weggerufen. Er trug so viel selbstgefällige Gesundheit zur Schau, daß es seine
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