Der Schönheitschirurg
Vorträge, einflußreiche Abendgesellschaften, die Spalten jedweder Publikation, die bereit war, seine Ansichten zu drucken, und die Ohren jedes Arztes, den er dazu bringen konnte, ihn anzuhören. Die englischen Chirurgen hielten seine Motive entweder für rührend kindliche Begeisterung oder irgendeinen komplizierten Schwindel. Sarasens Manieren wurden in Ärztekreisen etwa so eingeschätzt wie die der neuen Kriegsgewinnler von der alten Aristokratie. Diese Art von Selbstreklame war recht und gut für die Yankees, aber ganz und gar nicht für die diskreten Mediziner aus der Harley Street, die ja auf weit delikatere Weise ihre Interessen wahrzunehmen wußten. Der Chirurg wurde lachend als «Der wilde Sarazene» abgetan, ein unfeiner Kerl, vermutlich ein Quacksalber und, weit ärger noch, schrecklich vulgär.
Mit den Männern der Macht aber, im Gegensatz zu den Männern der Medizin, verstand sich der Sarazene großartig. Er sprach ihre Sprache, besonders in Geldangelegenheiten. Seine quecksilbrige Zunge, die ihm in New York die nötigen Mittel verschafft hatte, überredete einen Juniorminister Asquiths, dem Kriegsministerium vorzuschlagen, es möge ihn auf die Truppen loslassen. Überraschenderweise stimmte das Kriegsministerium zu. Zwar war die Idee, vom Krieg entstellte Züge wiederherzustellen, recht albern - die Pflicht der Ärzte im Kriege war es, Verwundete so schnell wie möglich wieder an die Front zu bringen, damit man wieder auf sie schießen könne —, aber die Generäle fanden, das Unternehmen sei gut für die Moral. Die Leute würden wissen, daß, falls ihr Gesicht weggeschossen würde, einer angestellt war, um es wieder zusammenzuflicken. Und da der Sarazene kostenlos arbeitete und sein eigenes Instrumentarium beistellte, war das Projekt verlockend billig. Sie requirierten also ein halbes Sanatorium an der Küste von Kent und sandten ihn dorthin.
Die Geschicklichkeit, mit der der Sarazene New Yorker Nasen korrigiert hatte, mußte beinahe vor den Verheerungen des Krieges kapitulieren. Er hob Hautlappen von Brust und Schultern ab, um sie auf die Wangen eines Verletzten zu übertragen, damit sich wenigstens die Zunge eines Verletzten nicht mehr in voller Sicht seiner Kameraden bewege. Er nahm Transplantate von Hüftknochen und Rippen, um zerschellte Kiefer von Patienten zu ersetzen, die in vierstündigen Abständen durch einen eingeführten Schlauch künstlich ernährt wurden. Er bedeckte nacktes Fleisch mit papierdünnen Hauttransplantaten, die mit einem Thierschmesser, das wie ein überdimensionales Rasiermesser aussah, abgelöst wurden. Überall schuf er geschäftig Ordnung, er unterschnitt Gewebe und versuchte es spannungsfrei wieder zu verbinden, um so Narbenbildung zu verhindern. Etwa die Hälfte seiner Reparaturen heilte an, die andere Hälfte schälte sich durch Sepsis wieder ab. Manche von seinen Patienten verließen das Spital ohne Entstellung, die meisten sahen merkwürdig aus, einer oder zwei starben. «Wir machen vielleicht keine griechischen Götter», pflegte er stolz zu sagen, «aber zumindest entlassen wir sie so, daß ihre Mütter bei ihrem Anblick nicht schreien werden.» Jeden Nachmittag mußten die Rekonvaleszenten nach dem königlichen Reglement antreten und unter der Aufsicht eines Feldwebels in Viererreihen durch die Gegend marschieren.
Die Dorfleute in der Nähe erwähnten die «Gesichtsklinik» nur im Flüsterton. Sie war für sie der Aufenthalt gräßlicher Monstrositäten, die nicht einmal ein H. G. Wells hätte erfinden können. Alte Damen schauerten und schrien manchmal auf, wenn Patienten auf sie zukamen, Mütter sperrten ihre Kinder ein, und schwangere Frauen befürchteten (oder erhofften, je nachdem) eine plötzliche Fehlgeburt. Eine Abordnung bestürmte das Sanatorium, vor gerechter Entrüstung schnaubend wie eine überanstrengte Lokomotive. Sie verlangten, daß den Patienten das Dorf verboten werde. Die Armee tat ihnen den Gefallen. Da die Männer sonst nirgends hingehen konnten, wanderten sie die Küste entlang.
Graham bemerkte die Patienten des Sarazenen zum erstenmal von einem freistehenden Sommerhaus aus, wo er in diesem Sommer allein sitzen und die angeblich therapeutische Luft des Ärmelkanals einatmen durfte, ohne sich dabei allzusehr anzustrengen. Ein Arzt bleibt eben auf mysteriöse Art Arzt, selbst wenn er Patient ist. Aus der Entfernung glaubte er, sie seien merkwürdige Mißgeburten, wie der «Elefantenmensch» im Londoner Hospital, den Sir Frederick
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