Der Schoepfer
da jeder Baumeister zur Selbstreproduktion fähig ist, braucht Victor der Unbefleckte keine Zuchtfarmen. Er hat den Schöpfungsprozess dezentralisiert und sich ausgerechnet, da sich die Baumeister rasch vervielfachen, dass der Tod des letzten menschlichen Wesens in vierzehn Monaten eintreten wird.
Ein Baumeister, der durch Vermehrung entstanden ist, kommt nach nicht weniger als zwölf und nicht mehr als sechsunddreißig Stunden aus seinem Kokon heraus.
Sein Verstand ist so rege wie sonst auch, als Victor der Unbefleckte einen weiteren Schluck Wasser aus der Flasche trinkt.
Der große Plasmabildschirm wird hell. Der Replikant von Reverend Kelsey Fortis hat im Hauptraum des Rasthauses an vier Stellen Videokameras aufgestellt. Das gesellige Beisammensein ist noch nicht zum Familiengemetzel geworden.
65.
Nach Angaben der Kellnerin in der Gaststätte von Andy Andrews, Tori, wohnten Denise und Larry Benedetto zwei Straßen weiter, nur wenige Häuser von der Beartooth Avenue entfernt, in der Purcell Street. Tori war nicht sicher, aber sie glaubte, Denise unterrichtete Drittklässler in der Meriwether-Lewis-Grundschule.
Dass Victors neuestes Unternehmen seinen Hauptsitz irgendwo entlang dem Endzeit-Highway haben musste, war klar. Dass er Rainbow Falls als Versuchsgelände benutzen könnte, wie er New Orleans benutzt hatte, hatten sie geargwöhnt, und für Carson stand jetzt auch das fest.
Als sie zu Fuß zu der Adresse eilten, die Tori ihnen genannt hatte, sagte Michael: »Sag mir, dass ›Baby‹ nicht unbedingt ein kleines Baby bedeutet.«
»Was gibt es denn außer Babys noch für Babys?«
»Du weißt schon, wie ich manchmal Baby zu dir sage oder du Baby zu mir sagst. Man kann zu vielem Baby sagen.«
»Sie hat ein echtes Baby gemeint.«
»Wenn sie ein echtes Baby meinte, wie sollen wir dann mit ihm reden, wenn Babys nur Sachen wie ga-ga-wa-wa-ba-ba verstehen?«
»Es braucht kein Säugling zu sein. Es könnte alt genug sein, um zu reden, und sie würde es trotzdem noch ihr Baby nennen. Scout wird immer unser Baby sein, selbst wenn sie siebzig ist und wir hundert sind und wieder Windeln tragen.«
»Aber was sollen wir dem Baby sagen? Verbessere mich, falls ich etwas falsch verstanden habe, aber Denise hat gesagt: ›Sie hat mich an sich gebracht. Sie war ich. Aber doch nicht ich.‹ Was genau hat das zu bedeuten ?«
Carsons warmer Atem zeichnete sich in der kalten Abendluft weiß gegen die Dunkelheit ab, als sie ihn ungeduldig anfuhr: »Sie hat auch gesagt: ›Ich bin nicht ich.‹ Klarer hätte sie sich doch gar nicht ausdrücken können.«
»›Ich bin nicht ich‹ ist für mich überhaupt nicht klar«, widersprach er ihr.
»Du verweigerst dich, Michael. Du leugnest die Tatsachen.«
»Ich leugne gar nichts.«
»Jetzt leugnest du dein Leugnen. Es passiert wieder. Replikanten, wie in New Orleans. Die Frau im Restaurant war die echte Denise, und irgendwo gibt es einen Replikanten von ihr.«
»Aber was war das Ding an ihrer Schläfe, der Gesichtsschmuck? Etwas dergleichen haben wir in New Orleans nie gesehen.«
»Ich weiß nicht, was es war, aber es war total victoresk.«
»Victoresk?«
»Wir haben es jetzt mit Victors Klon zu tun, und der wird denselben Scheißdreck im Kopf haben, den Victor im Kopf hatte, aber er wird auch seine eigenen Ideen haben. Manches wird er anders machen. Wir werden alles Mögliche zu sehen bekommen, was wir in New Orleans nie gesehen haben.«
Die Benedettos wohnten in einem weißen Haus im neoklassizistischen Baustil. Ein Balkon im ersten Stock wurde von Säulen getragen, die vor der Haustür einen Portikus bildeten. Vor dem Haus stand ein Baum mit zerfurchter Rinde und rotem Herbstlaub.
Sie betraten den Säulengang und schauten durch die zwei Sprossenfenster, von denen die Tür flankiert wurde, doch niemand war zu sehen.
»Lass uns darüber nachdenken«, sagte Michael.
Carson drückte auf die Klingel.
Er sagte: »Ich wünschte, ich hätte den Hackbraten nicht bestellt. So, wie sich diese Nacht anlässt, werde ich teuflisches Sodbrennen bekommen.«
Carson drückte noch einmal auf die Klingel.
Das Läuten war noch nicht verklungen, als die Tür geöffnet wurde und Denise Benedetto vor ihnen stand. »Ja? Was ist?«, sagte sie kühl.
Sie war nicht die Denise Benedetto mit dem silbernen Gesichtsschmuck, dem Blutstropfen und der belegten Stimme.
»Wohnt Larry Benedetto hier?«, fragte Carson.
»Er ist mein Mann.«
»Tja, sehen Sie, mein Mann und Ihr Mann haben gemeinsam
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