Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
vielen Seiten Gottes theologisch zu versöhnen. Aber diese Versuche scheitern an der Erfahrung eines Gottes, der sich immer wieder neu und anders offenbart, eines Gottes, der von sich sagt: «Ich werde sein, der ich sein werde.» (2. Mose 3,14)[ 14 ] Gerade in seiner Undurchdringlichkeit, in der Unmöglichkeit, die Elemente, Farben und Konturen zu einem hell-harmonischen Ganzen zu fügen, treibt dieser Gott (jedenfalls für meinen Begriff ganz anders als der Gott der griechischen Philosophen) immer wieder zu Seinen Verkörperungen, Entäußerungen und Worten zurück – eben weil wir spüren, daß uns die alten, sperrigen Verse etwas zu sagen haben, daß sie uns angehen, irritieren oder fesseln, ohne sich uns restlos zu erschließen. Wenn die heiligen Schriften einfach nur sagten, was Menschen ohnehin denken oder auf Anhieb verstehen, gäbe es wenig Grund anzunehmen, daß sie heilig sind, mithin aus einer anderen Welt stammen als der unseren.
Beispiele ähnlich verstörender, emanzipatorisch nicht zurechtbiegbarer Angsterregung, wie sie die Bibel nicht nur in der Apokalypse enthält, ließen sich mannigfach aus dem Koran anführen. Die Ungläubigen, die zu verfolgen, und ihre Nacken, die zu treffen sind, werden in der Diskussion um den islamischen Fundamentalismus, die europäische Poeten, Publizisten und Politiker in Koranexegeten verwandelt hat, so vielfach auf allen Kanälen wiederholt, daß sich Belege erübrigen. Beunruhigender ist das durchaus zwiespältige Bild, das Gott im Koran von sich selbst zeichnet: Wie Michael Cook zusammenfaßt, «kann Gott Mitleid und Erbarmen zeigen, kann sich einfühlsam denen öffnen, die sich reuevoll an Ihn wenden; Er kann denen, die Ihn verehren, großzügig Leitung und Hilfe angedeihen lassen, vom Lohn im Diesseits und Jenseits ganz zu schweigen – aber Er kann auch rachsüchtig und feindselig sein, indem Er nicht nur diejenigen bestraft, die sich Seiner Leitung verweigern, sondern sie sogar gezielt in die Irre führt und sie nach dem Tode dem Höllenfeuer überliefert».[ 15 ] Zusätzlich seien die lautmalerisch und rhythmisch beklemmenden Warnpredigten ins Spiel gebracht, die Höllendarstellungen und endzeitlichen Visionen, die aus Gott nicht eben einen Hoffnungsträger machen, um das Mindeste zu sagen. Am Beispiel Moses macht der Koran das Erschrecken vor dem Gott, der sich offenbart, greifbar:
Als Mose nun zu seiner Frist kam,
Und mit ihm redete sein Herr,
Sprach er: Mein Herr, laß mich Dich sehen und schauen.
Er sprach: Du siehest nimmer Mich;
Doch schau zum Berg hin! Steht er fest an seinem Ort,
Alsdann sollst du Mich sehen. Als nun
Sich zeigete sein Herr dem Berge,
Macht’ Er ihn trümmern, und zu Boden
Stürzte Mose getroffen wie vom Blitze. (Sure 7,143)
Daß der Gott des Korans nicht einfach der Gott der Liebe ist, muß in Europa nicht eigens mehr erhärtet werden – es ist ja nicht einmal falsch. Gewiß stellt der Koran Gott in etlichen Facetten der Güte dar, doch sind diese ebenso wie in der Bibel untrennbar verbunden mit Seiner Gewalt, ja Seiner Arglist, Seinem Schrecken. Besonders in den frühen Suren wirkt der Koran wie der Ausbruch eines Schöpfers, dessen verzweifelte Wut über Undank, Ungerechtigkeit und Blindheit Seiner Geschöpfe in einen letzten Appell umschlägt, doch noch umzukehren, donnernd drohend, flehentlich verheißend. Weil sich in Büchern wie diesen nicht gewünschte, idealisierte, sondern reale und also katastrophale Menschenerfahrung vollkommener ausdrückt als je in menschengemachten Schriften, wären sie fad und verklärend ohne das Moment der Gewalt. Göttlich sind sie in dem Extrem, in dem sie menschlich sind.
C. G. Jung hat etwas anderes im Auge gehabt, nämlich die Göttlichkeit Christi, aber wohl etwas ähnliches gemeint, als er in seinem späten und vielleicht stärksten, dichtesten Buch eine Antwort auf Hiob formulierte. Jung benannte für sich den Augenblick, in dem Jesus Christus Göttlichkeit erreicht habe: genau dort nämlich, wo er zum ersten und einzigen Mal überhaupt einen Anhaltspunkt liefere, sich selbst zu reflektieren, sich über sich zu wundern, sich selbst zu dauern, nämlich wo er erfährt, was Gott Seinen treuen Knecht Hiob hat erdulden lassen – am Kreuz.[ 16 ]«Der Glaube an Gott als das Summum Bonum ist einem reflektierenden Bewußtsein unmöglich», erklärt Jung apodiktisch,[ 17 ] und tatsächlich: Exegetisch kann man sich nur wundern, wie aus der Bibel oder dem Koran der Glaube abgeleitet und als
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