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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Entscheidung seines Herrn geduldig abzuwarten (Sure 68,48).
    Erläuternd hinzufügen sollte ich, daß der Koran die Beziehung zwischen Gott und den Menschen im Vergleich zur Hebräischen Bibel einförmiger schildert, in weniger Varianten, weniger ambivalent, auch weniger widersprüchlich. In seiner Genese und seinem Selbstverständnis ist der Koran ein völlig anderer Text als die Bibel. Wie immer man sich die Entstehungsgeschichte des Korans vorzustellen hat, so ist er doch selbst für westliche Kritiker der tradierten Überlieferungsgeschichte im Vergleich zur Bibel in einem recht eng umrissenen zeitlichen und geographischen Raum entstanden und keine Sammlung kollektiver religiöser Erfahrungen, die durch viele Jahrhunderte angereichert, mündlich von Generation zu Generation weitergetragen, aber eben auch variiert, durch viele Phasen hindurch redaktionell bearbeitet worden sind. Vor allem ist der Koran weder Rede von Gott noch zu Gott. Er ist dem eigenen Anspruch nach direkte Rede Gottes. Beklagen können sich die Menschen im Koran schon deshalb nicht über Gott, weil es dem Textkonzept nach Gott selbst ist, der im Koran in erster Person spricht (in der Bibel spricht er, strenggenommen, nur im Zitat), und zwar spricht Gott zu einer einzigen Person in einem teilweise bis auf den Tag benannten Moment der Geschichte. Von den Menschen der koranischen Gegenwart oder der biblischen Vergangenheit zitiert dieser Gott, was Er will, und so ist es nicht weiter erstaunlich, wenn sich Sein Selbstbild vom Gottesbild Hiobs unterscheidet, der in ärgster, unbegreifbarer Bedrängnis nicht mehr an sich halten kann. Gott präsentiert sich in einem Licht, das für seine unmittelbaren Adressaten, in jenem historischen Moment (tausendvierhundert Jahre später können die gleichen Handlungen und Worte durchaus fragwürdig wirken) besonders günstig, eindringlich und im Sinne der Botschaft effektiv zu sein scheint, also in all seiner Barmherzigkeit, seiner Gerechtigkeit, durchaus auch seiner Erhabenheit, Allmacht, Bedrohlichkeit, mit Härte gegenüber Feinden, aber eben kaum in offener Willkür, blinder Gewalt und abweisender Rätselhaftigkeit. Den Zweifel nimmt Gott den Menschen nicht ab. Gott straft zwar, Er wütet und durchfährt den Menschen mit Furcht und Entsetzen, doch hat die Strafe einen Grund, das Wüten einen konkreten Anlaß. Der Schrecken Gottes dient im Koran der Läuterung.
    Hinzu kommt, daß der koranische Gott bei allen anthropomorphen Charakterisierungen keine so ausgeprägt personalen Züge hat. Er ist weniger launisch und wechselhaft als der alttestamentliche Gott. Die menschlichen Eigenschaften, mit denen Gott vorstellbar wird, sind klarer als Metaphern herausgestellt als in der Hebräischen Bibel. Durch das stärker spiritualisierte Konzept Gottes erscheint Sein Verhältnis zum einzelnen Menschen bei aller schöpfungsgeschichtlichen und religionshistorischen Dramatik gleichförmigen und weniger spannungsreich. So kommt es gar nicht erst zum Eindruck persönlicher Feindschaft, den Hiob, Jeremia oder manche Psalmisten gewinnen. Es ist also nicht allein mit der Unterwerfungsmentalität des Islams zu erklären, wie es bei Ernst Bloch anklingt,[ 31 ] sondern auch mit Blick auf die spezifische Textualität des Korans zu verstehen, wenn vom Aufbegehren Hiobs im Koran nichts übriggeblieben ist. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, daß der Aufruhr gegen Gott früh und um so schärfer wiederkehrt, wo Muslime theologisch von Gott zu sprechen begannen: Offenkundig fanden sie Sein Handeln keineswegs so einleuchtend in seiner Gerechtigkeit und Vernunft, wie Gott es behauptet hatte, und der äußerst hohe Anspruch der Sure 67,3, wonach an der Schöpfung keinerlei Makel zu finden sei, soviel der Mensch sich umschaue, provozierte angesichts der realen Verhältnisse Widerspruch.
    Gewiß hat nicht nur die islamische Orthodoxie, sondern haben auch weite Teile des Sufismus den halbierten und zugleich in Sure 6,84 zum Prophet geadelten Hiob als Beispiel vorgestellt, um den Menschen das Ergebenheitsmaxim einzubleuen: «Gott lehrte Hiob die Bedürftigkeit des Bittens, um ihn mit der Gnade der Großmut und des Gebens zu bedenken», sagt der Mystiker al-Dschunayd (gest. 910).[ 32 ] Sahl at-Tustari entzieht die Klage Hiobs als «geheime Zwiesprache mit Gott» möglicher Kritik. Der Sufi Abu Ibrahim Ismail al-Mustamli (gest. 1042) behauptet, die Rede Hiobs sei gar nicht als Klage aufzufassen, sondern als eine Form des Dankes, schließlich

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