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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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unerschütterlich bewahrt werden kann, Gott sei die Verkörperung dessen, was den Menschen heute gut vorkommt. Realistischer erscheint die von Kant erneuerte Weigerung der mittelalterlichen, insbesondere arabischen Philosophie, Gott überhaupt anthropomorph zu denken, oder das Umgekehrte des Gutgottglaubens: an Gott sich klagend zu wenden, Ihn gar aus solcher Verletztheit zu beschimpfen, wie man nur mit einem schimpft, der einem lieb und zum Leben wichtig ist.
    Abwertung der Klage in der christlichen Theologie
    Daß die Menschen sich gegen Gott auflehnen und selbst Gottes Sohn mit seinem Vater hadert, hat die christliche Theologie weitgehend verdrängt, wie übrigens Psalm 88 von der späteren Redaktion abgeschwächt wurde durch die Zuordnung zu Psalmen, die das Moment der menschlichen Duldsamkeit hervorheben. Überhaupt ist die Klage theologisch auf unterschiedliche Weise abgewertet worden, wenn die Exegese sie nicht vorher schon als etwas Gegenteiliges deklarierte. Die Entwicklung ist schon im Neuen Testament sichtbar. Von den Evangelisten, denen das Markus-Evangelium mit dem verzweifelten Verlassensschrei Jesu vorlag, hat nur Matthäus diese so drastische wie lebensnahe Version des Todes Jesu übernommen. Lukas hingegen läßt Jesus mit dem vertrauensvollen Wort sterben, seinen Geist in die Hände des Vaters zu legen (23, 46), und Johannes schließlich macht Jesus im Tod lammfromm: «Es ist vollbracht!» (19,30) Obwohl die frühe christliche Gemeinde unter Verfolgung litt und es Momente und Worte religiöser Verzweiflung und Gottverlassenheit vielfach gegeben haben muß, überliefert das Neue Testament fortan keine einzige Stelle mehr, in der Christen sich ob der Qual, die sie unschuldig, allein wegen ihres christlichen Bekenntnisses traf, in Klage oder wenigstens in Nachfrage an Gott wandten. So bewältigt Paulus, der Folter und Haft ausgesetzt war, sein Leiden prototypisch niemals klagend, sondern stets bejahend, dankbar:
    Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheiten, in Mißhandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn, wenn ich schwach bin, so bin ich stark. (2. Kor. 12f.)
    Für viele christliche Theologen schwingt offenbar schon im Wort «Klage» etwas Ungehöriges, Unfrommes mit – klagen sollte man eigentlich nicht. Ist sie in der Hebräischen Bibel noch fester, ja auffallend prominenter Bestandteil des Gebets, hat die Klage in der christlichen Kirche deshalb «keinen Ort mehr», wie der große protestantische Alttestamentler Claus Westermann bemerkt.[ 18 ] Im liturgischen Gebet kommt das Motiv der Klage und Anklage so gut wie nicht vor, und selbst aus den Rechtfertigungen Gottes angesichts des Leidens ist es ausgeklammert: Über die gesamte Geschichte christlicher Theodizeen von der Patristik bis ins 20. Jahrhundert ist die Dimension der Auflehnung gegen Gott so gut wie nicht in Erwägung gezogen worden.[ 19 ] Claus Westermann weist nach, daß in fast allen christlichen Kommentaren und Untersuchungen zu den alttestamentlichen Klageliedern die Klage entweder «abgewertet» sei oder von ihr «nur mit abwertenden Vorbehalten» geredet werde.[ 20 ]«Wo aber die Anklage Gottes als Teil des Gebetes abgelehnt wird, weil es pietätlos wäre, Gott etwas vorzuwerfen, ist die notwendige Folge, daß diese ganze Seite der Wirklichkeit, das Unbegreifliche und Schreckliche, aus der Gottesbeziehung herausfällt», fährt Westermann fort: «Es wird im Reden zu Gott verschwiegen. Und das bedeutet für das Reden zu Gott einen schweren Realitätsverlust.»[ 21 ]
    Mit der Abwertung der Klage hat die Hauptlinie abendländischer Theologie, die den schillernden, wütenden, leidenschaftlichen Gott der Bibel mit dem Philosophengott Marcions überdeckt, auch den Zorn Gottes abgemildert, wegretuschiert oder sich jedenfalls rein defensiv mit ihm beschäftigt, ihn als Kehrseite der Liebe entschuldigt.[ 22 ] Das gilt auch und gerade für Interpretationen des Hiobstoffes. Als bloßer Dulder begegnet Hiob bereits im Neuen Testament (Jak. 5,11), dann überwiegend in der alten Kirche, etwa bei Tertullian (gest. ca. 220), sowie in der mittelalterlichen Literatur.[ 23 ] In der christlichen Mystik des Mittelalters hat die Bejahung des Leidens als der Ort, an dem sich, wie Mechthild von Magdeburg

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