Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
sich durchaus so unversöhnlich lesen wie in Jean Pauls Rede des toten Christus vom Weltengebäude herab, daß kein Gott sei. Stellt Jean Paul die Verlassenheit sogar des Gottessohnes noch als Traum dar, so erscheint sie in Gérard de Nervals (gest. 1855) «Christus am Ölberg» als unumstößliche Realität. Im 20. Jahrhundert hat Rainer Maria Rilke dem Christusbild Jean Pauls und Nervals in seinem Gedicht «Der Ölbaum-Garten» neuen Ausdruck gegeben:
Er ging hinauf unter dem grauen Laub
ganz grau und aufgelöst im Ölgelände
und legte seine Stirne voller Staub
tief in das Staubigsein der heißen Hände.
Nach allem dies. Und dieses war der Schluß.
Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde,
und warum willst Du, daß ich sagen muß
Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde.
Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.
Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham …[ 7 ]
Das Gedicht spricht dann von einem Engel, der später gekommen sei; so werde es erzählt. Aber es war nur die Nacht.
Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden läßt alles los,
und sie sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mutter Schoß.
Die Engel kommen nicht zu solchen Betern, sie sind preisgegeben von den Vätern. Theologisch begründet ist die Ansicht, daß Jesus am Kreuz nicht nur den 22. Psalm zu beten anfing, sondern tatsächlich von Gott verlassen worden ist, unter anderem bei Jürgen Moltmann.
Woran ist Jesus gestorben? Er ist nicht nur am Gesetzverständnis seiner Volksgenossen und nicht nur an der Machtpolitik der Römer, sondern letzten Endes an seinem Gott und Vater gestorben. Die Qual in seinen Qualen war diese Gottverlassenheit.[ 8 ]
Moltmann nimmt die Feststellung, daß Jesus an Gott gelitten habe, als Gedankenbrücke, um zu Gottes eigenem Leiden zu gelangen. Wenn aber Gott selbst leidet, fällt er als Adressat der Anklage aus. Vom Buch Hiob, von den Psalmen oder Jeremia aus gelesen, wirkt eine solche Theodizee, in der Gott selbst zum Fragenden wird, so kurios oder mindestens einseitig wie das Bild von Gott als eines väterlichen, aber nicht zu strengen Freundes, als eines liebenden, aber um Gottes Willen nicht herrischen, eines möglichst emanzipatorischen, dagegen keineswegs ehrfurchteinflößenden oder gar zerstörerischen Helfers in allen Lebenslagen, wie der Mensch Ihn sich nur wünschen kann. Dabei widerlegt allein schon der zum Schlachtopfer gefesselte Isaak alles, was menschliches Fühlen und Denken gemeinhin mit dem lieben Gott verbindet. George Steiner hat markant formuliert, was jeder, der seinem Kind die Geschichten der Propheten vorliest, als Reaktion auf ungläubige Nachfrage erspüren müßte: «Wie Gott am besten definieren, wie Ihm in unserer Vorstellungskraft annähernd Genüge leisten? Haargenau als ein Wesen, das niemals von einem Manne verlangen würde, seinem Kind ein Messer in die Kehle zu stoßen.»[ 9 ] Die gnostische Kritik am Judentum setzte eben hier an, bei den unheimlichen Zügen des alttestamentlichen Gottesbildes. Die ungeheure Wirkung der Gnostiker wäre nicht zu erklären, hätten sie nicht eine naheliegende Deutung ausgesprochen und enttabuisiert, die doch mit Hiob oder den Psalmisten Zeugen sogar in der Heiligen Schrift selbst hatte. Etliche Bibelstellen zum Beweis auflistend, lehrte Marcion, daß der Gott der Juden «lügt, Versuche anstellt, als sei er unwissend, seine Ziele überdenkt und ändert, neidisch ist, Herzen verhärtet, blind macht und taub, Diebstahl begeht, sich lustig macht, schwach und ungerecht ist, das Böse schafft und das Böse tut». Er sei ein Gott, der «falsch» ist, «Kriege liebt, kein Mitleid kennt, seine Versprechen nicht hält, das Verdorbene, die Ehebrecher und die Mörder liebt, seine Meinung ändert, schlechte Menschen bevorzugt».[ 10 ] Der oft genug unprovozierte, also ganz und gar willkürlich wirkende Zorn ist ein so hervorstechender Zug im biblischen Gottesbild, daß es einer vielhundertjährigen Schule des Wegschauens bedurfte, damit er das breite Bewußtsein nicht mehr stört.[ 11 ] Zwar ist der Zorn stets als gerecht vorausgesetzt, doch stellen ihn die biblischen Texte so ausufernd dar, daß er zu seiner Ursache in keinem rechten Verhältnis mehr zu stehen scheint. Wie oft ist der Gott
Weitere Kostenlose Bücher