Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
der Hebräischen Bibel ein Kriegsheld, unerbittlich in Seiner Rache, die ganze Völker auslöscht.
Das Neue Testament schildert zwar nicht mehr im einzelnen, wie Gott in Zorn ausbricht, doch dafür wird Sein Zorn selbst zum Subjekt, der sich insbesondere im Römerbrief sowie in der Offenbarung des Johannes unerbittlich gegen alle Menschen außerhalb der christlichen Gemeinde wendet, wie es der Hebräischen Bibel noch fremd ist. Auch die Zuckerwatte, die Bequemlichkeit, Halbwissen und gute Absicht um Jesus Christus gelegt haben, verfliegt bei genauerer Lektüre, ist dieser doch nicht gekommen, «Frieden zu senden, sondern das Schwert» (Matth. 10,34). Noch in der Bergpredigt schwingt die ganze Leidenschaft dessen mit, der die Menschen über alle Verhältnisse liebt und also enttäuscht ist und erbost über ihre Falschheit. Die Händler vertreibt Jesus bekanntlich nicht nur mit guten Worten aus dem Tempel. «Ihr Schlangen, ihr Otterngezüchte!» schüttet er über die Pharisäer eine Strafpredigt aus, die noch heute schaudern macht. Kollektiv büßen sollen sie zusätzlich zu ihrem eigenen gleich noch den Frevel der gesamten Menschheitsgeschichte: «Auf daß über euch komme all das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blut des gerechten Abel bis aufs Blut des Zacharias, des Sohnes Berechjas, welchen ihr getötet habt zwischen dem Tempel und Altar. Wahrlich, ich sage euch: Das alles wird über dies Geschlecht kommen.» (Matth. 23,33ff.) Wer so spricht, versteht Sanftmut nicht als theologisches Weichspülprogramm. Ganze Gemeinschaften nimmt Jesu Nächstenliebe kollektiv aus, so die Nikolaiten, die er haßt (Offb. 2,6), oder die Juden von Smyrna, die für ihn «Satans Schule» bilden (Offb. 2,9). Es ist Jesus, der Bergprediger, der Isebel aufs Siechbett wirft, Johannes verbietet, ihre unehelichen Kinder aus Barmherzigkeit zu dulden und diese statt dessen mit dem Tod schlägt: «Und alle Gemeinden sollen erkennen, daß ich es bin, der die Nieren und Herzen erforscht, und ich werde geben einem jeglichen unter euch nach euren Werken.» (Offb. 2,23)
Jeder ist frei, sich Jesus vorzustellen, wie er will, allein das Neue Testament – und hier speziell die Darstellungen, die auf die charismatische Urgemeinde zurückgehen[ 12 ]– liefert keinen Hinweis darauf, daß er wie der gute Mensch von Sezuan aufgetreten ist oder wie der Pfarrer nach der Samstagabendshow im Ersten. Jesu Wort war nicht für den Sonntag, sondern für die Ewigkeit. Die Bibel erzählt von einem zur Liebe Verdammten, einem Besessenen, einem Maßlosen, der noch dazu unbedingte Gefolgschaft einforderte: «Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert», und die Bereitschaft zu sterben: «Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.» (Matth. 10,39) Sein Absolutheitsanspruch ist religionsgeschichtlich einzigartig: «Niemand kommt zum Vater denn durch mich» (Joh. 14,6) – und zugleich bat er Gott um Vergebung für seine eigenen Mörder: «Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!» (Luk. 23,34) Um sich heute eine Vorstellung von Jesus zu machen, muß man vielleicht weniger auf seine kirchlichen Verkünder schauen als auf solche Gestalten am Rande, die unsere Gesellschaft für sonderbar hält, für bestenfalls übergeschnappt, vielleicht für fanatisch. War Jesus in seiner Zeit nicht ein Extremist, der alles bedrohte, was galt und war? Wenn Johannes beim Anblick Jesu «wie ein Toter» umfällt, muß man Jesu Satz «Fürchte dich nicht!» (Offb. 1,17) daher im konkretesten Sinne verstehen, als Beruhigung dessen, der sich zu Tode erschrocken hat. «Und aus seinem Mund ging ein scharfes Schwert», sagt Johannes, «daß er damit die Heiden schlüge; und er wird sie regieren mit einem eisernen Stabe; und er tritt die Kelter des Weins des grimmigen Zorns Gottes, des Allmächtigen.» (Offb. 19,15)[ 13 ] Solche Sätze relativieren keine Silbe der Bergpredigt, aber sie gehören zu dem vielschichtigen Bild, das die Bibel von Jesus nicht anders als von Gott zeichnet.
Zur Vielschichtigkeit der Bibel gehört auch, daß sich der Protest gegen den Schöpfer nicht durchweg an Seiner Unbarmherzigkeit, sondern umgekehrt gerade an Seiner Güte entzünden kann: Der Prophet Jona wendet sich gegen Langmut und Güte Gottes, seien diese doch Ausdruck des Schwankens und der Unentschiedenheit, der Uneindeutigkeit. Immer wieder haben Denker und Theologen in der Tradition der griechischen Philosophie versucht, die
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