Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
(gest. um 1282) sagt, die Herrlichkeit Gottes am Menschen vollziehe, allen Grund zur Klage aufgehoben: «denn jetzt verfährt Gott wunderbar mit mir, da mir Seine Entfremdung lieber ist als er selbst.»[ 24 ] Auch der vergleichsweise nüchterne, lebensnahe Meister Eckhart (gest. 1327) predigt: «Darum klage nicht, klage vielmehr nur darüber, daß du noch klagst.»[ 25 ] Gegen die Theologiegeschichte hat daher Kierkegaard, der doch dem Menschen prinzipiell Unrecht vor Gott gab, an den biblischen Hiob erinnert. «Hiob! Hiob! Oh! Hiob! Sagtest du wirklich nichts anderes als diese schönen Worte: der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt?» fragt Constantin Constantius in Kierkegaards (gest. 1855) philosophisch-literarischer Schrift «Die Wiederholung».
Weh dem! der Witwen und Waisen frißt und sie um ihr Erbe betrügt, aber wehe auch dem! der den Trauernden auf subtile Weise um den einstweiligen Trost der Trauer, sich Luft zu machen und «mit Gott zu hadern», betrügen will. Oder ist die Gottesfurcht in unserer Zeit vielleicht so groß, daß der Trauernde die Dinge nicht braucht, die in jenen alten Tagen Sitte waren? Wagt man vielleicht nicht, vor Gott zu klagen? Ist also die Gottesfurcht größer geworden oder die Furcht und die Feigheit? Heutzutage meint man, der eigentliche Ausdruck der Trauer, die verzweifelte Sprache der Leidenschaft müsse den Dichtern überlassen bleiben, die nun, wie Winkeladvokaten bei einem erstinstanzlichen Gericht, vor dem Richterstuhl des menschlichen Mitleids die Sache des Leidenden vertreten. Weiter wagt sich niemand. Sprich du deshalb, unvergeßlicher Hiob![ 26 ]
Natürlich haben Christen ihren Protest gegen Gott formuliert, doch spielte dieser Affekt weder in der christlichen Theologie noch in der liturgischen Praxis der Kirche eine Rolle. Hiob, so bemerkte Immanuel Kant, «würde wahrscheinlicher Weise vor einem jeden Gerichte dogmatischer Theologen, vor einer Synode einer Inquisition, einem ehrwürdigen Classis, oder einem Oberkonsistorium (ein einziges ausgenommen), ein schlimmes Schicksal erfahren haben.»[ 27 ] Die Hintergründe und Ursachen dieser Verdrängung sind inzwischen mehrfach untersucht worden,[ 28 ] und in den letzten Jahren finden sich insbesondere in Deutschland manche Ansätze für eine christliche Theologie, die die Auflehnung gegen Gott als Moment der Frömmigkeit anerkennt und die Klage für die Liturgie zurückzugewinnen sucht, so bei Dorothee Sölle, Walter Groß, Friedolin Stier, Karl-Josef Kuschel oder Johann Baptist Metz: «Ist womöglich zu viel Gesang und zu wenig Geschrei in unserem Christentum? Zu viel Jubel und zu wenig Trauer, zu viel Zustimmung und zu wenig Vermissen, zu viel Trost und zu wenig Tröstungshunger?» fragt Metz: «Steht die Kirche nicht zu sehr auf der Seite der Freunde Hiobs selbst, der dem Glauben auch Rückfragen an Gott zugetraut hat?»[ 29 ]
Das Hiob-Motiv im Islam
In der islamischen Literatur verläuft die Geschichte des Hiob-Motivs teilweise spiegelverkehrt zur christlichen: Es wird nicht zunehmend verdrängt, sondern taucht erst langsam auf. Im Koran selbst klagt Hiob zwar (Sure 12,86), aber er klagt nicht an. Die Dimension des theologisch sanktionierten Protestes und der Auflehnung des Gläubigen gegen Gott ist ausgeschlossen. Die Geschichte Hiobs reduziert der Koran auf den Aspekt des Erduldens:
Und gedenke des Hiob, als er rief zu seinem Herrn:
Mich hat berührt die Not,
Doch Du bist der erbarmendste Erbarmer. (Sure 21,83)
Als Aufrührer kommt Hiob nicht zu Wort. «Was für ein trefflicher Diener er war», lobt ihn denn auch Gott im Koran: «Siehe, er war bußfertig.» (38,44) Wo es keine Strafe ist, dient das Leid im Koran wie in der Sunna[ 30 ] der Prüfung, nicht anders als in den vorherrschenden Exegesen des Judentums und Christentums. Daß Gott Hiob sein früheres Glück zurückgegeben hat, wie der Koran erwähnt, deuten die klassischen Kommentare denn auch als Lohn für seine stille Geduld und als Anreiz, es ihm gleichzutun. Der Koran läßt keine Form der klagenden oder gar Gott anklagenden Frömmigkeit gelten. Die muslimische Theologie mußte im Unterschied zur christlichen das Aufbegehren Hiobs, den Protest der Menschen gegen ihren Gott oder auch nur ihre Nachfrage nicht eigens verdrängen, insofern der Koran dies selbst in Sure 21,23 abgewehrt hatte. Der Prophet wird ausdrücklich davor gewarnt, dem Beispiel Jonas zu folgen, der wütend war und aufbegehrte, statt die
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