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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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habe Hiob gewußt, daß die Prüfung der Heiligen durch Gott eine Gnade darstelle.[ 33 ] Andere Sufis nahmen das Hiob-Motiv hingegen in seiner alttestamentlichen Breite auf, ignorierten also die koranische Beschränkung. Die im Koran nur angedeutete Geschichte Hiobs mitsamt seiner Klage und seinen Seinsverwünschungen war den gebildeten Muslimen aus den «Geschichten der Propheten» (qisas al-anbiyā) und den Korankommentaren wohlbekannt.[ 34 ] Mochten sich die früheren muslimischen Autoren eher auf Gespräche mit Juden, Christen und Konvertiten als auf die eigene Bibellektüre stützen, so daß längere, direkte Zitate selten sind,[ 35 ] klagt Hiob auch in der islamischen Tradition ganz unkoranisch: «Und der Tod wäre schöner für mich.»[ 36 ] Dabei könnte sich die Rezeption des biblischen Stoffes (mitsamt den rabbinischen Erweiterungen in Talmud und Midrasch) mit der vorbiblischen Hioblegende arabischen Ursprungs verbunden haben, die als eine der Quellen, wenn nicht als einzige Quelle des biblischen Dichters gilt, sich aber unabhängig von der Bibel in der arabischen Folklore bewahrt zu haben scheint.[ 37 ]
    Schon der Chronist Wahb ibn Munabbih (gest. 728) deklariert es als Zitat aus der Thora, wenn er die menschliche Klage gegen Gott zur Sprache bringt: «Wer über ein Unglück klagt, klagt direkt über seinen Gott.»[ 38 ] Den gleichen Satz, ebenfalls «nach einem Buche Gottes», zitiert später der Mystiker Ibn Adham.[ 39 ] Vielleicht hat auch antiker Skeptizismus, der sich im religiösen Denken der Zeit ausbreitete,[ 40 ] dazu beigetragen, daß Hiobs Frage neu gestellt wurde, wenn auch zunächst nicht am Beispiel Hiobs. Als einer der ersten Muslime soll Dschahm ibn Safwan (ermordet 745), der die theologisch-rationalistische Schule der Dschahmiyya begründete, Gottes Güte geleugnet haben, und zwar mit genauem Blick auf die Theodizee. Seine Gefährten habe er zu Aussätzigen und anderen Siechen geführt und gesagt: «Seht her, so etwas tut der Barmherzigste der Barmherzigen.»[ 41 ] Andere Asketen gingen so weit, regelrecht vor Gott zu warnen. «Nichts ist für die Geschöpfe verderblicher als der Schöpfer», zitiert der konservative Ibn Qayyim al-Dschawziyya (gest. 1350) mißbilligend einen anonymen Häretiker;[ 42 ] gemeint ist wahrscheinlich kein anderer als der große sufische Gelehrte Abu Talib al-Makki.[ 43 ] Trotz des Mißtrauens auf seiten der Orthodoxie weitete sich das Hadern mit Gott (taẓallumalä r-rabb) zum eigenen Topos innerhalb der mystischen Literatur aus. Ibn Qayyim berichtet über die Hadernden:
    Und manchmal fühlt sich der Unwissende besonders klug, und der Teufel stiftet ihn dann an, mit dem Herrn zu disputieren. Und manche von ihnen sagen über ihren Gott: Wie kann Er vorherbestimmen und dann strafen? Und manche sagen: Warum macht Er den Lebensunterhalt des Frommen knapp und den des Sünders reichlich? […] Und manche sagen: Was für eine Weisheit liegt im Niederreißen dieser Körper? Er quält sie mit der Vernichtung, nachdem Er sie zuvor erschaffen hat![ 44 ]
    Besonders verbreitet war das Hadern mit Gott unter den Dichtern des türkischen Bektaschi-Ordens. Der bis heute immens populäre anatolische Mystiker und Dichter Yunus Emre (gest. um 1321) kritisierte die Sirat-Brücke, über welche alle Toten schreiten müssen, obwohl sie dünner ist als ein Haar, und ebenso mißbilligte er die Waage, auf der Gott die guten und schlechten Taten des Menschen mißt: Eine Brücke, so Yunus, wird gebaut, damit Menschen über sie gehen, nicht damit sie herunterfallen; eine Waage steht einem Krämer an, keinem Gott.[ 45 ] Ein anderer Bektaschi-Derwisch, Kaygusuz Abdal (gest. 1397), sagte:
    Du hast eine Brücke aus Haar gemacht, damit Dein Knecht kommt und darüber geht. Wir wollen mal stehenbleiben und, wenn Du ein Held bist, Gott, so gehe selber darüber![ 46 ]
    Auch außerhalb der Mystik ziehen sich Zweifel an der Gerechtigkeit des göttlichen Handelns durch die gesamte Poesie der arabisch-persischen Kultur, denkt man nur an Daqiqi (lebte im 10. Jahrhundert), al-Maarri oder an die Vierzeiler Omar Chayyams:
Der Schöpfer, der den Bestand der Natur verschönert,
Aus welchen Gründen überläßt Er ihn dem Verfall?
Wenn er sich gut erwies, warum ihn zerbrechen?
Wenn die Form sich schlecht erwies, wessen Fehler war’s?[ 47 ]
    Das Motiv ist auch in der modernen Literatur vorzufinden: Der Gott, den etwa Nagib Machfus in manchen seiner Romane vorstellt, ist ein Herrscher, der die Menschen fern

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