Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
von sich hält und sich nicht darum schert, daß sie ihn für unbarmherzig halten müssen. Machfus nimmt das traditionelle islamische Gottesbild auf, wonach Gott in Seiner Allmacht nach Belieben über die Geschicke des Menschen beschließt, und reduziert es auf einen harten, unerfreulichen Kern, der die Güte ausgeschieden hat. Mit unverhohlener Sympathie schildert Machfus 1959 in «Die Kinder unseres Viertels» die Anklagen des Idris, der für Satan (Iblis) steht, gegen seinen Vater Gabalawi, der in dem Roman Gott vertritt. «Du hast dich zum Gewaltherrscher aufgeschwungen und kannst nun nichts anderes mehr sein! Uns, deine Söhne, behandelst du, als gehörten wir zu deinen zahlreichen Opfern!»[ 48 ] In einem anderen, weniger bekannten Roman, «Der Weg» (1967), spiegelt Machfus Gott unverhüllt in der Figur des steinreichen Lebemanns Sayyid Sayyid ar-Rahimi («der Barmherzige»), der auf allen Kontinenten Liebesaffären und Ehen eingeht, ohne sich um die zahlreichen Kinder zu kümmern, die daraus entstehen. Einer der Söhne, Sabir («der Geduldige», sicher ein Fingerzeig auf Hiob), gezeugt mit einer Prostituierten, macht sich auf die Suche nach dem Vater, um Unterhalt einzufordern, kann aber nicht mehr herausfinden, als daß der Vater erstens unbekannt verreist ist und zweitens sich gegenüber Sabir ohnehin zu nichts verpflichtet fühlt. Machfus spielt auf die zentrale Eigenschaft Gottes im Koran an, welche die traditionelle Theologie und Volksfrömmigkeit stets in den Mittelpunkt rückten und auch von Attar zum Gegenstand der Anklage gemacht wurde, nämlich die Versorgung (rizq) der Menschen zu gewährleisten. Mit den weltweiten Liebschaften des Herrn Barmherzig greift Machfus außerdem eine Idee aus der islamischen Mystik auf und wendet sie ins Sarkastische: Gottes Allgegenwart als steten Ausfluß der Liebe zu verstehen. Trotz der spielerischen, ja frivolen Verwendung traditioneller Vorstellungen ist es Machfus stets bitterernst, wenn er Gott in seinen Romanen immer wieder neu darstellt. Unter den großen arabischen Schriftstellern der Gegenwart ist er einer der wenigen, die in einem engeren Sinne religiös zu nennen wären, wenn auch alles andere als orthodox-islamisch.[ 49 ]
Der gewaltigste Ausbruch einer häretischen Frömmigkeit innerhalb des islamischen Kulturkreises scheint mir jedoch bis heute «Das Buch der Leiden» geblieben zu sein. Unter den Mystikern haben wohl einige ähnlich anmaßend von Gott gesprochen, so al-Halladsch, Bayezid Bestami und vor allem Eyn ol-Qozat Seyyed Ali Hamedani (hingerichtet 1131), an den Attar an vielen Stellen, so in der Darstellung Satans unmittelbar anschließt.[ 50 ] Mit Gott geschimpft hat aber niemand so leidenschaftlich wie Attar. Gewiß hat er viele Geschichten und Bilder aus früheren Schriften aufgenommen, so wie spätere Autoren fortfuhren, mit Gott zu hadern, aber in der schieren Fülle wie in ihrer Grobheit sind die Invektiven seiner Protagonisten gegen Gott und das Sein beispiellos.
Das Hadern mit Gott im «Buch der Leiden»
Die gottverzehrenden Gottanklagen, wie sie «Das Buch der Leiden» bündelt, fallen um so deutlicher ins Auge, als die Kultur, zu der Attar gehört, den großen Linien nach gerade das Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit ins Zentrum der religiösen Vorstellung rückte. Die zitierten Äußerungen jener Muslime, die Kritik übten am Schöpfer, stehen, aufs Ganze des islamischen Denkens bezogen, an dessen äußerstem Rand (und sind nicht selten nur in der Zitierung durch ihre Gegner erhalten); von der Orthodoxie abgesehen, repräsentieren sie nicht einmal die Haltung der Sufis, die sich in der Regel Gott konsequent ergeben. Man muß nur an al-Ghazalis meinungsbildende Lehre von der besten aller Welten erinnern, um sich das religiöse Umfeld vorzustellen, innerhalb dessen Attar der Schöpfung ins Gesicht spuckte. Nicht nur, so lehren die Traktate der großen sufischen Theoretiker wie al-Ghazali, as-Sarradsch (gest. 988) oder al-Quschayri, habe der Fromme sich ohne weiteres Besinnen an Gott wie der Säugling an die Brust der Mutter zu klammern und sich unter vollständiger Aufgabe des eigenen Willens kneten, formen und immer wieder neu zerstören und aufrichten zu lassen; er habe insbesondere jeden Schlag, den Gott ihm zufügt, dankbar entgegenzunehmen, ja freudig zu begrüßen, denn worauf es am Ende ankomme, sei, sich selbst in der größten Not die «gute Meinung» von Gott (ḥusn aẓ-ẓann) zu bewahren, eben so, wie es das koranische
Weitere Kostenlose Bücher