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Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Ellory
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ihm gelungen, Jimmy Radick zu beobachten – wie er aussah, seine Eigenheiten, seine Mimik. Jimmy zeigte inzwischen die ersten Anzeichen von Verschleiß. An den Augen war seine Berufung abzulesen: Augen, die nach in den Schatten verborgenen Zeichen Ausschau hielten. Es würde nicht mehr lange dauern, und die Grenze zwischen dem Mann, der er gewesen, und dem Mann, zu dem er geworden war, würde verblassen und irgendwann ganz verschwinden. Das war die Wirkung, die der Anblick toter Mädchen in Mülltonnen auf einen ausübte. So einfach war das.
    Eine Stunde später – Parrish war überrascht, wie lange er damit zugebracht hatte, an eigentlich ziemlich wenig zu denken – kehrte er an seinen Schreibtisch zurück, um nachzuschauen, was seine Recherchen ergeben hatten.
    Zwei Namen waren markiert. Der erste Name war Andrew King. Dessen Gesicht schaute ihm vom Bildschirm entgegen, doch Parrish erkannte ihn von den Gesprächen am Nachmittag nicht wieder, bis er registrierte, dass die Anklage wegen Körperverletzung, wegen der King im System gespeichert war, vom März ’95 datierte. Nun erinnerte Parrish sich an den Mann – vierunddreißig Jahre alt, Anzugträger, glatt rasiert, höflich und zu jedem Anlass präsentabel. Das Foto in der Akte zeigte einen langhaarigen, unrasierten Einundzwanzigjährigen. Anscheinend war King in eine Auseinandersetzung mit dem Angestellten eines Lebensmittelgeschäfts geraten, der ihn des Diebstahls beschuldigt hatte. King hatte dem Mann zweimal ins Gesicht geschlagen und war dann losgelaufen – ohne sein Portemonnaie und seine Einkäufe. Binnen einer Stunde hatte King sich gestellt, vielleicht um sicherzugehen, dass er sein Portemonnaie zurückbekommen würde. Er wurde verhaftet, angeklagt und verurteilt. Der Richter brummte ihm Sozialstunden auf und schickte ihn zurück in den Lebensmittelladen, um seine Strafe dort abzuarbeiten.
    Der zweite markierte Name war Richard McKee. Anscheinend hatte McKee eine Verwarnung wegen eines Verstoßes gegen die städtische Bauordnung erhalten. Er hatte eine Genehmigung für den Umbau seines Dachgeschosses beantragt, aber vor der Erteilung dieser Genehmigung bereits mit der Arbeit begonnen. Die Erlaubnis wurde schließlich erteilt, und am Ende gab es niemanden, der den Fall weiterverfolgen wollte. In den Akten verblieb er trotzdem.
    Und das war alles, was er hatte. Zwei Leute. Zwei mickrige Akten. Nichts Substanzielles, nichts Belastendes. Aber was hatte er denn erwartet?
    Er startete eine weitere Abfrage, diesmal nach Lester Young, und fand gleich vier Personen dieses Namens – drei Alkoholfahrten und einen Autodiebstahl. Zu jedem Einzelnen gab es eine Liste der bisherigen Arbeitsstellen, doch keiner von ihnen war je in irgendeiner Funktion bei der Stadt beschäftigt gewesen. Also war der Lester Young, nach dem sie suchten, nie verhaftet worden. Mehr konnte ihm sein Computer nicht verraten.
    Parrish machte Schluss. Er packte alles zusammen und verstaute die Akten und Berichte wieder in seinem Schreibtisch.
    Einmal mehr überlegte er, ob er eine Aussprache mit Caitlin suchen sollte, doch es war Samstagabend. Höchstwahrscheinlich war sie mit Freunden zusammen, und wenn nicht, dann hatte sie sich bewusst für einen ruhigen Abend zu Hause entschieden. In beiden Fällen würde Parrish sich überflüssig oder unwillkommen fühlen. Er nahm die U-Bahn bis zur Haltestelle DeKalb und ging nach Hause. Unterwegs kaufte er eine Flasche. Er wusste, dass er auch etwas essen sollte, hatte aber kaum Appetit. Morgen würde er ordentlich frühstücken. Genau, das würde er tun. Morgen war Sonntag, und Sonntage eigneten sich besonders gut zum Frühstücken.
    49
    Sonntag, 14. September 2008
    Wieder weckten ihn die Träume, doch diesmal stand er nicht auf. Er blieb zwischen den zerwühlten schweißfeuchten Laken liegen und fragte sich, ob Marie Griffin ihn jetzt als zwanghaft einstufen würde.
    Die Mädchen waren wieder da gewesen. Blassblaue Haut. Keine Augen oder genauer gesagt: Da waren Augen, aber ohne Weiß, ohne Pupillen, ohne Farbe. Schwarze Höhlen, eingesunken und im Dunkel verborgen wie kleine luftleere Räume, die jedes Licht und jeden Schatten absorbiert hatten. Alles war in eine künstliche, monochrome Farbe getaucht, mit Ausnahme der Fingernägel. Rot wie frisches Blut. Als er die Hand, die sich ihm entgegenstreckte, genauer betrachtete, sah er, dass die Finger keine Rillen und Linien aufwiesen. Die Haut war glatt, vollkommen glatt. Wir sind niemand, sollte

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