Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
seiner Verzweiflung geleitet. Und der Grat zwischen dem verzweifelten Bedürfnis, einen Fall zu lösen, und der Besessenheit, die eine Karriere ruinieren konnte, war ziemlich schmal.
Wirkte McKee besorgt, oder bildete Parrish sich das nur ein? Weil er vielleicht auf McKees Besorgnis hoffte ? McKee saß noch nicht richtig im Wagen, da stellte er bereits die ersten Fragen. Was wollten sie von ihm? Welche Fragen sollte er noch beantworten? Wollten sie ihn aus irgendwelchen Gründen festnehmen?
»Alles in Ordnung, Mr McKee«, versicherte Parrish ihm. »Wirklich, es ist alles in Ordnung. Wir müssen einer Reihe von South-Two-Angestellten noch zusätzliche Fragen stellen. Sie sind nur deshalb der Erste, weil Sie sich an einige der Fälle erinnern können. Sie sollen uns nur helfen, in Ordnung? Bitte machen Sie sich keine Sorgen.«
Danach wirkte McKee nicht mehr ganz so nervös, doch Parrish behielt ihn während der Fahrt per Rückspiegel im Blick. McKee war unruhig, ohne Frage. Allerdings war es nicht ungewöhnlich, dass Menschen so reagierten. Wenn man sie nach etwas Bestimmtem fragte, dachten sie sofort an all die Dinge, zu denen sie lieber keine Fragen beantworten wollten. Der einfache Umstand, mit der Polizei zu tun zu bekommen, löste bereits Stress aus. Das ergab sich einfach aus der Situation. Schließlich besaß die Polizei Autorität. Falls einem diese Autorität unfreundlich gesinnt war, konnte man verhaftet, angeklagt, vor Gericht gestellt, verurteilt, eingesperrt, ja sogar hingerichtet werden. Es hatte in der Vergangenheit unschuldige Menschen getroffen, und die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas auch in Zukunft passieren würde, war alles andere als gering, solange Gesetz und Rechtssystem ihren Job nicht besser machten. Wenn die Polizei ins Spiel kam, wurden Menschen zu Ziffern in Statistiken, und davor hatten alle Angst.
Entweder hatten sie davor Angst, oder sie waren tatsächlich schuldig. Im Fall von McKee machte Parrish sich auf eine herbe Enttäuschung gefasst.
53
Ein Verhörraum im Keller des 126sten Polizeireviers zählte wahrscheinlich zu den abweisendsten und stickigsten Orten, an denen man sich wiederfinden konnte. Winzige Belüftungsschächte mit Lamellen hoch über der Tür ließen gerade ein Minimum an schweißgetränkter Luft nach draußen; frische Luft hingegen schienen diese Öffnungen nicht hereinlassen zu wollen.
Radick fragte McKee, ob er einen Kaffee wolle. McKee sagte ja. Parrish führte ihn zu einem Stuhl und entschuldigte sich sofort für den Raum.
»Hätte ich ein eigenes Büro, dann könnten wir jetzt dort sitzen«, sagte er. »Aber ich bin eben nur ein ganz gewöhnlicher Verwaltungsknecht.«
»Genau wie bei uns«, erwiderte McKee. »Dutzende Leute in einem großen Raum. Bietet wenig Chancen für diskrete Gespräche, stimmt’s?«
Radick tauchte mit dem Kaffee auf. Er nahm den Platz am Kopfende des Tischs zwischen Parrish und McKee ein, die sich gegenübersaßen. Für einige Augenblicke herrschte unbehagliches Schweigen, bis Parrish sich vorbeugte und die Handflächen aneinanderlegte wie zu einem kleinen Gebet.
»Richard«, begann er, »ich darf Sie Richard nennen? Ist das in Ordnung?«
McKee nickte. »Natürlich, ja.«
»Ich wollte Sie noch ein wenig über Ihre Beziehung zu Jennifer Baumann und Karen …«
» Beziehung ?«, warf McKee ein. »Ich hatte zu keiner von beiden irgendeine Beziehung.«
»Ich glaube, Sie sagten, dass Sie von Jennifer gehört hatten, dass Sie sogar den Namen ihres Sachbearbeiters wussten. Wenn ich mich richtig erinnere, erwähnten Sie, dass er zur Bewährungsbehörde gegangen ist.«
»Ja, das sagte ich. Ich wusste etwas über den Fall Jennifer Baumann, aber das Mädchen kannte ich nicht. Ich bin ihr weder begegnet, noch habe ich je mit ihr gesprochen. Und das gilt auch für Karen Pulaski. Der Name war mir vertraut, aber ich wusste nicht mal, dass sie ermordet worden war.«
»Jetzt tun Sie es aber.«
»Was tue ich?«
»Sie wissen jetzt, dass sie ermordet wurde.«
McKee runzelte die Stirn. »Ja, natürlich weiß ich, dass sie ermordet wurde. Das haben Sie mir vorgestern erzählt.«
Parrish nickte und lächelte verständnisvoll. »Ja, natürlich habe ich es Ihnen erzählt. Aber bevor ich es Ihnen erzählte, hatten Sie keine Ahnung, dass sie getötet wurde?«
»Ich wusste, dass Jenny Baumann getötet wurde. Ich sagte Ihnen, dass ich davon gehört hatte …«
»Jenny?«
»Ja, Jenny Baumann.«
»Ich dachte, Sie hätten sie nicht
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