Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
soweit wir wissen, aber höchstwahrscheinlich wird das Opfer dabei oder direkt danach erdrosselt. Wir vermuten, dass sich das Mädchen passiv verhält, da wir bei mehreren Opfern Benzodiazepin gefunden haben. Die Sache dürfte mindestens schon zwei Jahre laufen, vielleicht auch länger … und das Zeug dürfte hier in der Stadt produziert worden sein.«
»Mein Gott, Frank, haben Sie eine Vorstellung davon, über wie viele Filme wir hier reden?«
»Ja, zumindest eine vage Idee.«
Joel Erickson, der stellvertretende Archivleiter und Wächter über alle auf Zelluloid oder digital produzierten Bilder und Filme, präsentierte der Welt ein bestimmtes Gesicht. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein leutseliger Onkel oder der Vetter, der zu jedem Weihnachtsfest mit einer anderen blond gebleichten, fünfundvierzigjährigen Freundin auftauchte. Erst bei näherem Hinsehen bemerkte man die Risse und Falten. Und auch die Schatten. Wenn man ihn nach den Dingen fragte, mit denen er täglich konfrontiert wurde, schüttelte er mit einem bitteren Lächeln den Kopf.
»Über das, was ich weiß, möchten Sie nichts wissen«, sagte er dann und begann zu erzählen.
Joel Erickson war kein Mann, den man zu Dinnerpartys einlud. Und selbst wenn man es täte, war er nicht der Mann, der solch eine Einladung annehmen würde.
»Aus dem Stegreif fallen mir drei, vier, fünf Dutzend allein aus dem letzten Quartal ein, die ins Schema passen würden.«
Parrish legte die Fallakten auf Ericksons Schreibtisch und schob sie zu ihm hinüber.
Erickson öffnete sie eine nach der anderen, musterte die Fotos darin, schloss die Akten wieder und schob sie zur Seite.
»Alle gleich«, sagte er leise und schüttelte den Kopf. »Nach einer Weile sehen sie alle gleich aus. Lassen Sie mir die Unterlagen ein paar Tage hier. Ich kopiere mir die Bilder. Falls ich zwischendurch Zeit habe, mache ich mich gleich auf die Suche. Aber Sie wissen ja, wie es ist, oder? Nennen Sie mir einen Satz, in dem die Wörter Nadel und Heuhaufen vorkommen.«
Parrish lächelte betrübt. »Schon verstanden, Joel. Ich bitte Sie auch nur, Ihr Möglichstes zu tun. Ich habe sechs Opfer. Ich denke, es gibt eine Verbindung zwischen ihnen, und ich könnte mir vorstellen, dass einige der Gesichter hier bei Ihnen aufgetaucht sind.«
Parrish und Radick warteten, während Erickson die Bilder fotokopierte. Dann dankten sie ihm für seine Hilfsbereitschaft.
»Ich bin so hilfsbereit, wie man nur sein kann«, erwiderte Erickson. »Zeit und Personal sind das Problem.«
»Lassen Sie uns eine Pause machen«, sagte Parrish, als sie ihren Wagen erreicht hatten. »Lassen Sie uns einen Kaffee trinken oder so was. Ich brauche ein paar Minuten, um mich wieder zu sortieren.«
Anderthalb Blocks entfernt gab es ein Starbucks. Parrish bestellte den Kaffee, während Radick einen freien Tisch in der Nähe der Toiletten erspähte.
»Alles hängt zusammen wie ein verdammtes Spinnennetz«, bemerkte Radick, als Parrish Platz nahm.
Parrish antwortete erst, als er saß, seine Jacke ausgezogen, die Akten abgelegt, sein Handy aus der Tasche gefischt und es auf den Tisch gelegt hatte.
»Ein Spinnennetz ist eine ziemlich passende Analogie«, räumte er ein. »Ich glaube, es gibt eine Menge Fäden, die wir noch nicht entdeckt haben. So muss es sein. Die Alternative wäre, dass die Fälle nicht zusammenhängen.«
»Ich kann mit nicht vorstellen, dass sie nicht zusammenhängen«, erwiderte Radick. »Die Fingernägel, die Frisuren, die Strangulationen.«
»Klar, aber wie viele Mädchen lassen sich die Nägel lackieren oder die Haare schneiden? Eigentlich tun sie die ganze Zeit nichts anderes, oder? Das einzige verbindende Element beim Modus Operandi ist die Todesursache, und Strangulation ist eine der am meisten verbreiteten Mordmethoden überhaupt.«
»Das weiß ich ja, Frank, trotzdem glaube ich, dass Sie einer Sache auf der Spur sind. Ich bin überzeugt davon, dass die Fälle zusammenhängen, und zwar sehr eng, und ich bin überzeugt, dass eine einzige Person dahintersteckt und dass diese Person bei South Two arbeitet.«
Parrish zuckte die Achseln. »Was genau geht Ihnen durch den Kopf?«
Radick schüttelte den Kopf. »Ich muss immer wieder an McKee denken, aber mir ist schon klar, dass ich wegen der Pornomagazine auf ihn komme und dass … Ach, Scheiße, es bedeutet letztlich überhaupt nichts, stimmt’s?«
»Ganz genau. Es bedeutet überhaupt nichts«, entgegnete Parrish.
»Wie haben Sie es formuliert?
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