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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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hinzufügte: »Nein, es war eigentlich das Bild von Caddy Scudamore, das ich mir angeguckt habe«, aber auch das schien die Sache nicht besser zu machen.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Ich hab nicht herumgeschnüffelt, ich hab’s nur zufällig entdeckt, als ich bei Mr. Digweed im Laden war, und ich weiß zwar, dass es noch nicht raus ist, aber es soll doch veröffentlicht werden, nicht?«
    »Was? Oh, ja, natürlich. Nur ein paar Auszüge. Larry, ich meine, der Pfarrer, hat es gefunden, als er im Pfarrhaus alte Unterlagen durchgeforstet hat. Großmama hat dort gelebt, wissen Sie, sie hat Mr. Harding geheiratet, und das Tagebuch muss dort zurückgeblieben sein, als sie ins Ausland gingen …«
    Irgend etwas (Erleichterung vielleicht, aber worüber?) löste ihr die Zunge. Die erste Regel bei Vernehmungen besagte, wenn du sie zum Reden bringst, schwimm mit dem Strom, welche Richtung er auch nimmt. Dies war zwar keine Vernehmung, doch das Prinzip stimmte trotzdem.
    »Ins Ausland? Wohin denn?«
    »Nach Afrika. Da kam meine Mutter zur Welt.«
    »Afrika? Sie meinen, als Missionare? Ganz schöner Kontrast zu Enscombe!«
    »Vermutlich. Aber hier konnten sie nicht bleiben … nun ja, die Familie hat ihre Heirat nicht gutgeheißen, und wenn es damals einen Streit zwischen Kirche und Old Hall gab, war es der Pfarrer, der das Feld räumte.«
    »Als Ihre Mama geboren wurde, hat das nicht geholfen, die Dinge wieder einzurenken?«
    »Wenn es ein Junge gewesen wäre, hätte es das vielleicht. Aber Mädchen zählten bei ihnen nicht viel.«
    »Zumindest nicht, wenn sie jemanden aus dem niederen Volk heiraten wollten«, sagte Wield. »Wie hat der gegenwärtige Squire reagiert? Er muss der Bruder Ihres Großvaters gewesen sein?«
    »Er war nicht hier, als das alles passierte. Ich glaube, er war in Neuseeland oder so, und als er zurückkam, waren sie schon nach Afrika gegangen. Sein jüngerer Bruder Guy war hier, aber der schien mehr nach der Familie geraten zu sein.«
    »Das war vermutlich der Großvater des jetzigen Guy?«
    »Ja.«
    »Aha«, sagte Wield unverbindlich, doch nicht so unverbindlich, dass es nicht einen Moment stillen Einverständnisses zwischen ihnen gegeben hätte.
    »Und ist Ihre Großmutter je hierher zurückgekehrt?«, nahm er den Faden wieder auf.
    »Nein, sie ist in Afrika gestorben. Beide.«
    »Und Ihre Mutter?«
    »Sie war sechzehn oder siebzehn, sie hat nach Hause geschrieben, was passiert war. Sie bekam keine Antwort. Der Squire, unser Squire, fand den Brief ein paar Jahre später, als er sein Erbe antrat, und er schrieb sofort zurück, aber da war sie längst fort, und als der Brief sie endlich einholte, hat sie sich im London der Sechziger zu gut amüsiert, um sich sonderlich darum zu kümmern.«
    »Wie sind Sie denn dann hierher gekommen?«, fragte er.
    »Mama war in ihren Dreißigern, als sie mich bekam. Vielleicht ungewollt. Vielleicht wollte sie aber auch etwas Dauerhafteres als das, was sie von den letzten Jahren behalten hatte. Ich habe nie erfahren, wer mein Vater ist. Ich bin nicht sicher, ob sie es wusste. Aber sie hat nach besten Kräften für mich gesorgt, und das war entschieden besser, als sie für sich selber gesorgt hat. Als ich neun war, wusste sie, dass sie an Krebs sterben würde. Sie schrieb dem Squire einen Brief, in dem sie ihm mitteilte, ich würde mit dem und dem Zug ankommen, packte meine Sachen, brachte mich zum Bahnhof und gab mir einen Abschiedskuss. Girlie holte mich am anderen Ende ab. Bis man herausgefunden hatte, in welchem Krankenhaus sie lag, war sie schon tot.«
    Es war eine anrührende Geschichte, und obwohl Wield nicht recht wusste, was er antworten sollte, hatte sie zweifellos eine bessere Antwort verdient, als sie erhielt, denn Dalziel kam ins Zimmer hereingeplatzt und sagte: »Also, das ist doch – kaum lass ich ihn mal eine Sekunde aus den Augen, verschwindet er mit dem hübschesten Mädel im Haus aufs Zimmer. Bei Gott, ist das schick zusammengeflickt, Sergeant. Hast du schon mal an einen Ohrring gedacht?«
    »Wir haben die Küche gesucht«, sagte Pascoe entschuldigend. »Der Squire hat uns etwas zu essen angeboten.«
    »O ja, Krumen vom Tisch des Adels sind für uns gewöhnliche Sterbliche ein Festessen«, sagte Dalziel. »Welches ist denn nun Tante Edwina?«
    Da es nur ein einziges Porträt inmitten von Landschaftsaquarellen gab, war die Konkurrenz nicht groß. Es war ein gelungenes, wenn auch nicht bedeutendes Gemälde von einer lebhaften, wenn auch nicht

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