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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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oder 4 Familien in einem Dorf auf dem Lande sind die beste Arbeitsgrundlage.«
    U nd so brach über Enscombe der Abend herein.
    Crag End Farm, in den Westhang des Tales geschmiegt, erreichten die Schatten zuerst. George Creed spülte unter der Pumpe im Hof seine Stiefel ab und lachte, als er sah, wie der Lehm von ihren Gummischäften glitt. Von jenem dummen Streit mit seiner Schwester abgesehen, war das Leben gut zu ihm, aber auch das würde sich zweifellos bald wieder einrenken lassen. Hätte sich längst eingerenkt, wenn nicht ihre notorischen Bibelsprüche ihn in eine ebenso sture Haltung getrieben hätten. Morgen würden sich die Dinge klären, so oder so. Er saß auf der Bank unter dem Küchenfenster und zündete sich eine Pfeife an. Die gönnte er sich noch, bevor er zu der Versammlung zur Rettung der Schule ins Dorf hinunterging. Creeds alter Hund, der die Zufriedenheit seines Herrn spürte, machte es sich mit dem Kopf auf dem feuchten Gummistiefel bequem, und zusammen beobachteten sie, wie die Schatten, die sie bereits umgaben, sich langsam Richtung Scarletts ausstreckten und bald die Windungen des Flusses erreichen würden.
     
    Auch in Scarletts nahmen die Bewohner den Einbruch der Nacht zur Kenntnis, jeder auf seine Weise. Mrs. Bayle machte sich daran, ihre Verteidigungsanlagen zu überprüfen. Fop schnupperte in freudiger Erwartung in der Luft. Und Justin Halavant goss sich ein Glas Bâtard-Montrachet ein, den irgendein blöder Franzose als den besten Wein der Welt rühmte, um einen Mann zum Philosophieren zu verleiten.
    Bis jetzt hatte der Test noch zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt.
    Er nahm bedächtig einen Schluck und ließ noch einmal die Situation Revue passieren.
    Faktisch besehen, war er nicht schlechter dran als zuvor.
    Juristisch besehen, hatte er nichts verloren, dessen Verlust ihm wirklich etwas ausgemacht hätte.
    Moralisch besehen, war ein Problem gelöst, ein Unrecht gutgemacht, der Wunsch eines Sterbenden erfüllt.
    Doch keine dieser Überlegungen, noch vorerst der Wein, konnten etwas daran ändern, dass er sich bestohlen, hereingelegt und gedemütigt fühlte.
    Letztlich war dieses undankbare Geschöpf, Caddy, schuld an alledem. Zugegeben, sein Annäherungsversuch war alles andere als feinfühlig gewesen; tatsächlich war die Erinnerung an seine Tölpelei nicht weniger schmerzhaft als ihre Konsequenzen. Aber deswegen musste diese blöde Schwester, diese Eiskönigin, seine Demütigung nicht gleich vor dem ganzen Dorf ausbreiten. Und seine eigenen Schuldgefühle gegenüber Caddy waren wie weggeblasen, als er herausbekam, welche Rolle sie bei dieser jüngsten Schandtat spielte. Wahrscheinlich wusste auch darüber das ganze Dorf Bescheid. So war es nur recht und billig, dass er am Dorf insgesamt Rache nahm. Und welcher Wein wäre besser geeignet, ihm die Rache schmackhaft zu machen, als der Bâtard? Aber nicht heute abend. Morgen war der Tag der Abrechnung. Früh genug, um sich den Hass aller seiner Nachbarn zuzuziehen. Er stand auf, ging zur Tür und rief: »Mrs. Bayle!«
    »Ja?«
    »Falls Mr. Philip Wallop anruft, sagen Sie ihm bitte, dass ich weg bin. Bitten Sie ihn, morgen wieder anzurufen.«
    »O ja? Sie gehen zu dieser Schulversammlung, oder?«
    Schulversammlung? Ja, wieso nicht? So hatte schließlich alles angefangen. Wieso also nicht!
     
    Am Dorfrand erfassten die Schatten die Wildnis, in die Jason Toke den lieblichen Garten von Intake Cottage verwandelt hatte, und hier saß er und dachte ebenfalls an Caddy. Er hatte nicht einmal so etwas wie echte Hoffnung; was er sehr wohl hatte, war die Gewissheit, dass ohne die leiseste, vage Andeutung einer Möglichkeit, an die er sich klammern konnte, in seinem Leben etwas Bahnbrechendes passieren und ihn unwiederbringlich in eine neue, unvorhersehbare Richtung katapultieren würde. Das beste, was Jason in der letzten Zeit passiert war, war die Geschichte, wie sich Halavant einen Korb eingefangen hatte. Justin besaß Reichtum, Macht und Einfluss, und doch hatte Caddy ihn zurückgewiesen. Was wollte sie dann?
    Und jene vage Andeutung einer Möglichkeit verfolgte den Jungen erneut wie ein Gespenst, während seine geschmeidigen, geschickten Finger die Gewehre auseinandernahmen und ölten.
     
    Etwas weiter oben im Tal, wo die Sonne länger verweilt und das Blei des Kirchdachs vergoldet und die Fenster des Pfarrhauses in Feuer taucht, erfüllten auch Larry Lillingstone Gedanken an Caddy, indes er an seinem Schreibtisch saß und sich über

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