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Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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regelmäßiges Krafttraining war sie weit stärker als früher, aber trotzdem nicht stark genug, den Verletzten mit einer Hand hochheben zu können. Sie lehnte die Uzi an den Türrahmen und mußte feststellen, daß sie ihn nicht einmal mit zwei Händen hochheben konnte. Obwohl es wahrscheinlich gefährlich war, einen so schwer Verletzten zu bewegen, war es bestimmt noch gefährlicher, ihn hier in der Kälte liegen zu lassen – vor allem, weil er anscheinend verfolgt wurde. Laura schaffte es, ihn halb hochzuheben und rückwärtsgehend in die Küche zu schleppen, wo sie ihn auf den Boden legte. Mit einem Seufzer der Erleichterung holte sie ihre Uzi herein, sperrte die Tür ab und schaltete die Alarmanlage wieder ein.
    Er war erschreckend blaß und eiskalt, deshalb mußte Laura ihm als erstes die schneeverkrusteten Schuhe und Socken ausziehen. Als sie mit dem linken Fuß fertig war und den rechten Schuh aufzuschnüren begann, murmelte er etwas in einer fremden Sprache – allerdings so undeutlich, daß Laura sie nicht identifizieren konnte – und dann auf Englisch etwas von Sprengladungen und Toren und »Gespenstern in den Bäumen«.
    Obwohl sie wußte, daß er im Delirium lag und sie vermutlich so wenig verstehen würde, wie sie ihn verstand, redete sie beruhigend auf ihn ein: »Okay, langsam, immer mit der Ruhe, reg dich nicht auf, alles kommt wieder in Ordnung; sobald ich deinen Fuß aus diesem Eisklotz befreit habe, rufe ich einen Arzt an.«
    Bei der Erwähnung eines Arztes schreckte er kurz aus seiner Verwirrung auf. Er umklammerte mit schwachem Griff Lauras Arm und starrte sie angstvoll und durchdringend an. »Keinen Arzt. Muß fort … muß weg von hier …«
    »In deinem Zustand kannst du nirgends hin«, widersprach sie. »Außer mit einem Krankenwagen ins nächste Krankenhaus.«
    »Muß aber fort. Schnell! Sie kommen … kommen bald …«
    Sie sah zu der Uzi hinüber. »Wer kommt?«
    »Killer«, sagte er drängend. »Ermorden mich aus Rache. Ermorden dich, ermorden Chris. Sind schon unterwegs.«
    Bei diesen Sätzen ließ weder Blick noch Stimme auf ein Delirium schließen. Sein bleiches, schweißnasses Gesicht war nicht mehr schlaff, sondern starr vor Angst. Lauras ganze Schieß- und Selbstverteidigungsausbildung schien plötzlich keine bloße hysterische Vorsichtsmaßnahme mehr. »Okay«, sagte sie. »Wir verschwinden, sobald ich mir deine Wunde angesehen und sie verbunden habe.«
    »Nein! Sofort. Müssen sofort weg.«
    »Aber …«
    »Sofort«, wiederholte er. In seinen Augen stand ein so gequälter Blick, daß man beinahe glauben konnte, die Killer, von denen er redete, seien keine gewöhnlichen Männer, sondern übernatürliche Wesen.
    »Okay«, stimmte sie zu. »Wir fahren sofort.«
    Seine Hand glitt von ihrem Arm. Sein Blick wurde verschwommen, er begann heiser sinnloses Zeug zu murmeln.
    Als sie durch die Küche hastete, um nach oben zu laufen und Chris zu wecken, hörte sie ihren Beschützer wie im Traum, aber trotzdem ängstlich von einer »großen, schwarzen, unaufhaltbaren Todesmaschine« sprechen, was ihr nichts sagte, sie aber dennoch erschreckte.

Zweiter Teil - VERFOLGUNG
    Die lange Gewohnheit zu leben hat uns der Fähigkeit zu sterben beraubt.
    Sir Thomas Browne

Ein Heer von Schatten
    Laura knipste eine Lampe an und rüttelte Chris wach. »Zieh dich an, Schatz.«
    »Was iss’n los?« fragte er verschlafen und rieb sich mit seinen kleinen Fäusten die Augen.
    »Ein paar böse Männer sind hierher unterwegs, und wir müssen fort, bevor sie kommen. Beeil dich jetzt!«
    Chris hatte im vergangenen Jahr nicht nur um seinen Vater getrauert, sondern sich auf den Augenblick vorbereitet, in dem ihr trügerisch friedlicher Alltag durch einen weiteren unerwarteten Ausbruch des Chaos geschüttelt werden würde, das Chaos, das am Grunde aller menschlichen Existenz schlummerte und von Zeit zu Zeit gleich einem Vulkan ausbrach wie in jener Nacht, als sein Vater ermordet worden war. Chris hatte beobachtet, wie seine Mutter sich zu einer erstklassigen Pistolenschützin heranbildete, hatte miterlebt, wie sie ein ganzes Arsenal ansammelte, hatte mit ihr Unterricht in Selbstverteidigung genommen und war in Einstellung und Verhalten trotzdem ein normales Kind geblieben, auch wenn er seit dem Tode seines Vaters verständlicherweise etwas melancholischer gewirkt hatte als andere Kinder. In diesem Augenblick der Krise reagierte er jedoch nicht wie ein Achtjähriger: Er greinte nicht, stellte keine unnötigen Fragen,

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