Der Schutzengel
Rolle des schmachtenden Verehrers gespielt. Er hatte sein Anliegen vorgetragen und war bereit, ihr Zeit zu geben, über ihn nachzudenken und ihn kennenzulernen, bevor sie sich entschied. Sie hatte den Verdacht, daß er notfalls jahrelang warten würde, ohne sich jemals zu beschweren. Er besaß die aus extremen Widrigkeiten entstandene Geduld, die Laura aus eigener Erfahrung kannte.
Er war still, oft nachdenklich und manchmal regelrecht melancholisch, was sie auf die Schrecken zurückführte, die er in seinem längst versunkenen Deutschland erlebt hatte. Vielleicht basierte diese depressive Grundeinstellung auch auf Dingen, die er selbst getan und seither bereuen gelernt hatte – Dinge, die sich vielleicht nie wiedergutmachen ließen. Schließlich hatte er selbst gesagt, für ihn sei ein Platz in der Hölle reserviert. Von seiner Vergangenheit hatte er nur das preisgegeben, was er Chris und ihr vor über zehn Tagen in ihrem Motelzimmer erzählt hatte. Sie spürte jedoch, daß er bereit war, ihr rückhaltlos alles zu erzählen – für ihn vorteilhafte Einzelheiten ebenso wie nachteilige –, sobald sie selbst es so wollte.
Trotz seines Kummers besaß Stefan einen leisen Sinn für Humor. Er war nett zu Chris und verstand es, den Jungen zum Lachen zu bringen, was Laura ihm als Pluspunkt anrechnete. Sein Lächeln war warm und herzlich.
Sie liebte ihn noch immer nicht und bezweifelte, daß sie ihn jemals lieben würde. Sie fragte sich, worauf diese Gewißheit basierte. Tatsächlich lag sie über eine Stunde lang in ihrem dunklen Schlafzimmer und stellte sich diese Frage, bis sie schließlich zu vermuten begann, daß sie ihn deshalb nicht lieben konnte, weil er nicht Danny war. Ihr Danny war ein einzigartiger Mann gewesen, mit dem sie eine fast vollkommene Liebe erlebt hatte, soweit das möglich war. Wenn Stefan Krieger sich jetzt um sie bemühte, würde er ständig mit einem Geist konkurrieren müssen.
Sie erkannte die Tragik ihrer Lage und war sich trübe bewußt, daß ihre Einstellung ihr ewige Einsamkeit garantierte. Im Grunde ihres Herzens wollte sie lieben und geliebt werden, aber in ihrer Beziehung zu Stefan sah sie nichts als unerwiderte Leidenschaft auf seiner Seite, unerfüllte Hoffnungen auf der ihren.
Neben ihr murmelte Chris im Schlaf und seufzte dann.
Ich liebe dich, Schatz, dachte Laura. Ich liebe dich so sehr.
Ihr Sohn, das einzige Kind, das sie jemals haben würde, war jetzt und in absehbarer Zukunft der Mittelpunkt ihres Daseins, der Hauptgrund für ihr Weiterleben. Wenn ihm etwas zustieße, würde sie allen Sinn für die dunkle Komik des Lebens verlieren, und diese Welt, auf der Tragödie und Komödie allüberall nebeneinander auftraten, würde für sie zu einem ausschließlich tragischen Ort werden: zu düster und traurig, um noch länger ertragen zu werden.
Drei Straßenblocks von der Kirche entfernt bog Erich Klietmann vom Palm Canyon Drive ab und parkte den weißen Toyota in einer Seitenstraße des Geschäftsviertels von Palm Springs. Auf den Gehsteigen herrschte dichtes Gedränge aus Kauflustigen, die einen Schaufensterbummel machten. Einige der jüngeren Frauen trugen Shorts und freizügige Tops, die Klietmann nicht nur empörend unsittlich, sondern geradezu schamlos erschienen, weil ihre Trägerinnen sich ungeniert in einem Aufzug zeigten, der in seiner Zeit undenkbar gewesen wäre. Die NSDAP würde solche Schamlosigkeiten in Zukunft mit eiserner Faust unterdrücken; nach ihrem Endsieg würde eine andere Welt mit strikt erzwungener Sittlichkeit entstehen, in der diese barfüßigen, BH-losen Frauen Haftstrafen und Umerziehungsmaßnahmen riskierten, wenn sie sich so zur Schau stellten. Während Klietmann beobachtete, wie Gesäß-backen sich unter hautengen Shorts bewegten, Brüste unbehindert unter dünnen T-Shirts auf und ab hüpften, litt er jedoch am meisten darunter, daß er jede dieser hübschen Frauen begehrte, auch dann, wenn es sich um Vertreterinnen minderwertiger Rassen handelte, die der Führer zur Ausrottung bestimmt hatte.
SS-Rottenführer Stein, der neben Klietmann stand, hatte einen Stadtplan von Palm Springs auseinandergefaltet, den der Erkundungstrupp, der die Frau und den Jungen aufgespürt hatte, ihnen aus der Zukunft mitgebracht hatte. »Wo schlagen wir zu?« fragte er.
Klietmann zog den Zettel, den Dr. Jüttner ihm im Hauptlabor gegeben hatte, aus der Innentasche seiner Jacke und las den Text laut vor: »Am Freitag, dem 27. Januar, um 11.20 Uhr wird die Frau etwa zehn
Weitere Kostenlose Bücher