Der Schutzengel
fahnden – eine häßliche Erschwernis. Sie würden die beiden Leichen in den Kofferraum stopfen und mitnehmen müssen.
»Warum seid ihr uns erschienen?« fragte die Dame in Pa-stellblau. »Seid ihr Engel?«
Klietmann überlegte, ob sie senil sei. Engel in Nadelstreifanzügen? Dann wurde ihm klar, daß sie neben einer Kirche standen und auf wundersame Weise erschienen waren, so daß ein frommer Mensch sie logischerweise unabhängig von ihrer Aufmachung für Engel halten konnte. Vielleicht würde es also doch nicht nötig sein, Zeit damit zu verlieren, die beiden zu ermorden. »Ja, Ma’am, wir sind Engel«, bestätigte er, »und Gott braucht Ihren Wagen.«
»Meinen Toyota hier?« fragte die Pastellgelbe.
»Ja, Ma’am.« Die Fahrertür stand offen, und Klietmann warf seinen Aktenkoffer auf den Vordersitz. »Wir sind mit einem dringenden Auftrag Gottes unterwegs, Sie haben uns vor Ihren Augen aus dem Himmelstor treten sehen, und wir brauchen einen Wagen.«
Bracher und Stein waren auf die andere Seite des Toyotas gegangen, hatten die Türen geöffnet und waren eingestiegen.
»Shirley, du bist auserwählt worden, deinen Wagen herzugeben«, sagte die Pastellblaue.
»Sie bekommen ihn von Gott zurück«, versprach Klietmann ihr, »sobald unser Werk auf Erden getan ist.« Weil er sich an die kriegsbedingte Benzinrationierung im Dritten Reich erinnerte und nicht wußte, ob Treibstoff im Jahre 1989 knapp war, fügte er hinzu: »Unabhängig davon, wieviel Benzin jetzt im Tank ist, bekommen Sie ihn natürlich voll zurück, und er wird niemals mehr leer sein. Sie wissen schon – wie bei der Speisung der Fünftausend.«
»Aber auf dem Rücksitz steht Kartoffelsalat für den Kirchen-Brunch«, sagte die Pastellgelbe.
Hubatsch hatte bereits die hintere Tür auf der Fahrerseite geöffnet und die Schüssel mit Kartoffelsalat gefunden, die er jetzt herausholte und vor die Pastellgelbe auf den Asphalt stellte.
Klietmann stieg ein, schloß die Fahrertür, hörte Hubatsch seine Tür schließen, fand den Zündschlüssel im Schloß, ließ den Motor an und fuhr über den Parkplatz davon. Als er kurz vor der Straße einen Blick in den Rückspiegel warf, standen die beiden alten Damen noch immer mit ihren Schüsseln in den Händen da und starrten ihnen nach.
Mit der Zeit wurden ihre Berechnungen immer genauer, und daneben trainierte Stefan seinen linken Arm und die Schulter, soweit er das wagen durfte, ohne daß der Arm beim Verheilen der Wunde steif wurde oder der Muskeltonus verlorenging. Als ihre erste Woche in Palm Springs sich am 21. Januar, einem Samstag, ihrem Ende näherte, schlossen sie ihre Berechnungen ab und hatten nun die genaue Zeit und die genauen Raum-Zeit-Koordinaten zur Verfügung, die Stefan für die nach seiner Rückkehr ins Jahr 1944 geplanten Zeitreisen benötigen würde.
»Jetzt brauche ich nur noch etwas Zeit, bis die Wunde total abgeheilt ist«, sagte er, während er vom Computer aufstand und seinen linken Arm probeweise im Kreis bewegte.
»Du bist vor elf Tagen angeschossen worden«, stellte sie fest. »Hast du noch immer Schmerzen?«
»Gelegentlich. Tiefsitzende, dumpfe Schmerzen. Und nicht die ganze Zeit. Aber die Kraft ist noch nicht wieder da. Am besten warte ich noch ein paar Tage, glaube ich. Falls der Arm bis Mittwoch wieder einigermaßen in Ordnung ist, werde ich an diesem Fünfundzwanzigsten ins Institut zurückkehren. Jedenfalls nicht später als kommenden Mittwoch.«
In dieser Nacht schrak Laura aus einem Alptraum hoch, in dem sie wieder im Rollstuhl saß und das Schicksal in Gestalt eines gesichtslosen Mannes in schwarzer Robe emsig damit beschäftigt war, Chris aus der Realität auszuradieren, als wäre der Junge nur eine Bleistiftzeichnung auf einer Glasscheibe. Sie blieb in Schweiß gebadet einige Zeit im Bett sitzen und horchte angestrengt auf Geräusche im Haus, ohne etwas anderes zu vernehmen als das sanfte, gleichmäßige Atmen ihres Sohnes neben ihr im Bett.
Laura konnte nicht wieder einschlafen, lag wach im Bett und dachte über Stefan Krieger nach. Er war ein eigenartiger Mann: sehr verschlossen und manchmal schwer berechenbar.
Seit er ihr am Mittwoch vergangener Woche erklärt hatte, er sei ihr Beschützer geworden, weil er sich in sie verliebt und deshalb den Wunsch gehabt habe, das ihr vorbestimmte Leben zum Besseren zu korrigieren, hatte er nicht mehr von Liebe gesprochen. Er hatte sein Geständnis nicht wiederholt, ihr keine bedeutungsvollen Blicke zugeworfen und nicht die
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