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Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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in ihr Zimmer schleichen und sie sekundenschnell überwältigen. Er würde sie niederschlagen oder sonstwie betäuben, in einen Sack stecken, sie verschleppen und in einen Keller sperren. Und niemand würde wissen, was aus ihr geworden war.
    Sie machte auf dem dritten Absatz kehrt, nahm je zwei Stufen auf einmal und wollte zu Mrs. Bowmaines Büro zurücklaufen. Aber als sie um die Ecke zur Eingangshalle bog, wäre sie beinahe mit Sheener zusammengeprallt. Der Aal trug einen Mop und einen mit einem Reinigungsmittel mit aufdringlichem Tannenduft gefüllten Rollkübel mit aufgesetztem Auswringer.
    Er grinste Laura an. Vielleicht bildete sie sich das nur ein, aber sie war überzeugt, daß er bereits wußte, daß sie in dieser Nacht allein sein würde.
    Laura hätte an ihm vorbeilaufen, zu Mrs. Bowmaine gehen und darum bitten sollen, heute nacht woanders schlafen zu dürfen. Sie durfte kein Wort gegen Sheener sagen, sonst erging es ihr wie dem armen Denny Jenkins – vom Personal als Lügnerin hingestellt, von ihrem Peiniger erbarmungslos verfolgt und gequält –, aber sie hätte irgendeine plausible Begründung für ihren Sinneswandel finden können.
    Sie überlegte auch, ob sie sich auf ihn stürzen, ihn in seinen Putzkübel schubsen und ihm warnend erklären sollte, sie sei ihm jederzeit gewachsen und er solle ja die Finger von ihr lassen. Aber Sheener war anders als die Teagels. Mike, Flora und Hazel waren träge, engstirnig und ungebildet, aber geistig einigermaßen normal. Der Aal war geistesgestört, und es war nicht abzuschätzen, wie er auf einen tätlichen Angriff reagieren würde.
    Während sie zögerte, wurde sein schiefes, gelbliches Lächeln breiter.
    Sein blasses Gesicht rötete sich leicht, und Laura, die darin aufkeimende Lust zu erkennen glaubte, mußte gegen Übelkeit ankämpfen.
    Sie wandte sich ab, ging davon und wagte erst zu rennen, als sie auf der Treppe außer Sicht war. Dann hastete sie ins Zimmer der Ackerson-Zwillinge.
    »Du schläfst heute nacht hier«, entschied Ruth.
    »Natürlich«, wandte Thelma ein, »mußt du oben in deinem Zimmer bleiben, bis die Bettenkontrolle vorbei ist, und dann runterschleichen.«
    »Wir haben bloß vier Betten«, warf Rebecca ein, die auf ihrem Bett in der Ecke sitzend Mathematikaufgaben machte.
    »Ich schlafe auf dem Fußboden«, sagte Laura.
    »Das wäre ein Verstoß gegen die Heimordnung«, stellte Rebecca fest. Thelma drohte ihr mit der Faust und funkelte sie an.
    »Okay, schon gut«, wehrte Rebecca ab. »Ich hab’ nie gesagt, daß ich sie nicht hier haben will. Ich hab’ nur darauf hingewiesen, daß das gegen die Heimordnung ist.«
    Laura befürchtete, daß Tammy Einwände erheben würde, aber die kleine Blondine lag auf ihrem gemachten Bett, starrte gedankenverloren die Zimmerdecke an und schien sich nicht für die Pläne der anderen zu interessieren.
    In dem eichengetäfelten Speisesaal, bei einem fast ungenießbaren Abendessen aus zähen Schweinekoteletts, klebrigem Kartoffelbrei und lederartigen grünen Bohnen – und unter dem wachsamen Blick des Aals –, sagte Thelma: »Was übrigens Bowmaines Frage betrifft, ob sie dir trauen könne, wenn du allein seist … Sie hat Angst, du könntest einen Selbstmordversuch unternehmen.«
    Laura starrte sie ungläubig an.
    »Andere Heimkinder haben bereits welche unternommen«, erklärte Ruth ihr betrübt. »Deshalb stecken sie mindestens zwei in ein Zimmer – auch wenn es eine kleine Kammer ist. Zuviel Einsamkeit scheint zu den auslösenden Faktoren zu gehören.«
    »Ruth und mir geben sie keines der kleinen Zimmer«, fuhr Thelma fort, »weil sie uns als eineiige Zwillinge für praktisch einen Menschen halten. Sie fürchten, wir könnten uns erhängen, sobald die Tür hinter uns ins Schloß gefallen ist.«
    »Das ist doch lächerlich!« protestierte Laura.
    »Klar ist’s lächerlich«, bestätigte Thelma. »Erhängen wäre nicht dramatisch genug. Die erstaunlichen Ackerson-Schwestern – Ruth et moi – haben eine Vorliebe fürs Dramatische. Wir würden Harakiri mit gestohlenen Küchenmessern begehen oder, wenn wir uns eine Kettensäge verschaffen könnten …«
    Alle Gespräche wurden in gedämpftem Ton geführt, denn bei den Mahlzeiten gingen Aufsichtspersonen im Speisesaal auf und ab. Miss Keist, die für den zweiten Stock zuständige Heimerzieherin, kam hinter dem Tisch vorbei, an dem Laura mit den Ackersons saß, und Thelma flüsterte: »Gestapo!«
    »Mrs. Bowmaine ist gutwillig«, sagte Ruth, als Miss

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