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Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sagte hinter der dicken Fensterscheibe mit übertrieben deutlichen Lippenbewegungen nur ein Wort: »Wunderhübsch.«
    Bob lächelte erleichtert, dann fiel ihm ein, daß man sein Lächeln wegen der Gesichtsmaske nicht sehen konnte, und er nickte dankend.
    Der Unbekannte betrachtete Laura erneut, blinzelte Bob nochmals zu und verließ seinen Platz am Fenster.
    Später, als Bob Shane heimgefahren war, trat ein großer Mann in dunkler Kleidung ans Besucherfenster der Säuglingsstation. Er hieß Kokoschka. Er betrachtete die Babys, dann verschob sich sein Blickfeld, und er nahm sein farbloses Spiegelbild in der blankgeputzten Scheibe wahr.
    Er hatte ein breites, flaches Gesicht mit scharfen Zügen und so schmalen, harten Lippen, daß sie aus Horn hätten sein können. Auf seiner linken Backe saß ein fünf Zentimeter langer Schmiß. Seine dunklen Augen besaßen keine Tiefe, als wären die Pupillen auf Porzellankugeln aufgemalt; sie glichen den kalten Augen eines die düsteren Meerestiefen durchstreifenden Hais. Die Erkenntnis, wie sehr sein Gesicht sich von den unschuldigen Gesichtern der Säuglinge in den Bettchen hinter dem Fenster unterschied, belustigte ihn. Er lächelte, was er nur selten tat, aber da war keine Wärme, nur noch mehr Bedrohlichkeit in seinem Gesicht.
    Er betrachtete sein Spiegelbild erneut. Es war ihm nicht schwergefallen, Laura Shane inmitten der übrigen Wickelkinder zu identifizieren, denn der Nachnahme jedes Kindes stand auf einem Namensschild über seinem Bettchen.
    Weshalb gilt dir soviel Interesse, Laura? fragte er sich. Weshalb ist dein Leben so wichtig? Weshalb dieser ganze Aufwand, damit du sicher auf diese Welt gelangst? Soll ich dich jetzt umbringen und so die Pläne des Verräters durchkreuzen?
    Ihre Ermordung hätte ihm keine Gewissensbisse bereitet. Er hatte schon früher Kinder umgebracht, allerdings noch nie so kleine. Kein Verbrechen war zu schrecklich, wenn es der Sache diente, der er sein Leben geweiht hatte.
    Die Kleine schlief. Ab und zu bewegte sie die Lippen und verzog ihr winziges Gesicht, als träume sie sehnsüchtig und wehmütig von ihrer Zeit im Mutterleib.
    Zuletzt beschloß er, sie nicht umzubringen. Noch nicht. »Liquidieren kann ich dich auch später, Kleine«, murmelte er. »Ich will erst wissen, welche Rolle du in den Plänen des Verräters spielst – dann kann ich dich beseitigen.«
    Kokoschka verließ seinen Platz am Fenster. Er wußte, daß er das Mädchen über acht Jahre lang nicht wiedersehen würde.
    In Südkalifornien regnet es im Frühjahr, Sommer und Herbst nur selten. Die eigentliche Regenzeit beginnt im Dezember und endet im März. Aber am 2. April 1963, einem Dienstag, war der Himmel bedeckt und die Luftfeuchtigkeit hoch. Bob Shane, der an der Eingangstür seines kleinen Lebensmittelgeschäfts in Santa Ana stand, rechnete ziemlich sicher damit, daß der letzte große Regenguß dieser Saison bevorstand.
    Der Feigenbaum im Vorgarten des Hauses gegenüber und die Dattelpalme an der Straßenecke standen bei windstiller Luft unbewegt und schienen ihre Zweige unter dem Gewicht des aufziehenden Sturms hängen zu lassen.
    Das Radio neben der Registrierkasse war nur halblaut angestellt. Die Beach Boys sangen ihren neuesten Hit »Surfin’ U.S.A.« Zu diesem Wetter paßte es so gut wie »White Christmas« im Juli.
    Bob schaute auf seine Armbanduhr: 15.10 Uhr.
    Spätestens um halb vier regnet’s, dachte er, und das kräftig!
    Am Vormittag war das Geschäft gut gegangen, um jedoch am Nachmittag ziemlich abzuflauen. Im Augenblick waren keine Kunden im Laden.
    Als kleiner Einzelhändler hatte er jetzt mit der neuen, gefährlichen Konkurrenz großer Ladenketten wie »7-Eleven« zu kämpfen. Bob hatte vor, in Zukunft Spezialitäten und mehr frische Ware anzubieten, aber er schob die Umstellung so lange wie möglich hinaus, weil ein Laden dieser Art wesentlich arbeitsaufwendiger war.
    Falls das heraufziehende Gewitter wirklich schlimm wurde, würden heute nur noch wenige Kunden kommen. Da konnte er ebensogut zumachen und mit Laura ins Kino gehen.
    »Hol lieber das Boot, Schatz«, sagte Bob, als er sich von der Tür abwandte.
    Laura kniete in ihre Arbeit vertieft am Ende des ersten Ganges gegenüber der Registrierkasse. Bob hatte vier Kartons mit Dosensuppen aus dem Lagerraum geholt und Laura den Rest der Arbeit überlassen. Sie war erst acht, aber sehr zuverlässig und half gern im Geschäft mit. Nachdem sie den richtigen Preis aufgestempelt hatte, ordnete sie die

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