Der Schwarm
Verlauf ganze Hydratfelder einfach verschwinden. Sie lösen sich auf, binnen eines Jahres. Es kann sein, dass genau dies hier geschieht, und möglicherweise setzen die Würmer diesen Prozess in Gang. In diesem Fall wird vor Norwegen in den nächsten Monaten ziemlich viel Methan in die Atmosphäre gelangen.«
»Ein Methanschock wie vor 55 Millionen Jahren?«
»Nein, dafür ist es immer noch zu wenig. Noch einmal, ich will nicht spekulieren. Aber ich kann mir andererseits nicht vorstellen, dass sich der Prozess endlos fortsetzt ohne Druckabnahme oder Temperaturanstieg, und weder das eine noch das andere verzeichnen wir. In den nächsten Stunden schicken wir den Videogreifer nach unten. Vielleicht sind wir danach klüger. Ich danke Ihnen.«
Damit verließ er den Konferenzraum.
Johanson schickte eine E-Mail an Lukas Bauer auf seinem Schiff. Allmählich kam er sich vor wie ein biologischer Ermittler: Haben Sie diesen Wurm gesehen? Können Sie ihn beschreiben? Würden Sie ihn wiedererkennen, wenn wir ihn mit fünf anderen Würmern zu einer Gegenüberstellung laden? Hat dieser Wurm der alten Frau die Handtasche entrissen? Sachdienliche Hinweise nimmt die nächste Forschungsstelle entgegen.
Nach einigem Zögern schrieb er ein paar verbindliche Worte zu dem damaligen Treffen in Oslo und erkundigte sich, ob Bauer vor Grönland in letzter Zeit außergewöhnlich hohe Methankonzentrationen gemessen habe. Bislang hatte er diesen Punkt in seinen Anfragen ausgespart.
Als er wenig später an Deck ging, sah er den Videoschlitten an der Kranwinde baumeln, begutachtet von Bohrmanns Geologenteam. Sie holten ihn ein. Ein Stück weiter hockten einige Matrosen auf der großen Handfegerkiste vor der Deckswerkstatt und unterhielten sich. Die Kiste hatte sich im Laufe der Jahre den Rang eines Refugiums erworben, angesiedelt zwischen Ausguck und Wohnzimmer. Ein verschlissenes Stofftuch war darüber gebreitet. Manche nannten sie schlicht die Couch. Von hier aus ließ sich herrlich witzeln über die Doktoren und Diplomanden mit ihren tapernden Bewegungen, die den Platz der Spötter vorsorglich mieden. Aber heute wurde nicht gewitzelt. Die angespannte Stimmung hatte sich auch auf die Mannschaft übertragen.Die meisten wussten durchaus, was die Wissenschaftler da taten. Am Kontinentalhang stimmte Verschiedenes nicht, und jeder machte sich Gedanken.
Alles musste jetzt sehr schnell gehen. Bohrmann ließ das Schiff extrem langsam fahren, um eine Stelle zu beproben, die ihm nach Auswertung der Videobilder und Messdaten des Fächerecholots geeignet erschien. Direkt unter der Sonne befand sich ein ausgedehntes Hydratfeld. Beproben hieß in diesem Fall, ein Ungetüm hinabzulassen, das dem Jura der Meeresforschung zu entstammen schien. Der Videogreifer, ein tonnenschweres stählernes Maul, repräsentierte nicht unbedingt den letzten Stand der Technik. Es war die rabiateste, aber auch zuverlässigste Art, dem Meeresboden ein Stück seiner Geschichte zu entreißen, und das im wörtlichen Sinne. Der Greifer bohrte sich in den Untergrund, drang tief ein, biss eine klaffende Wunde und riss zentnerweise Schlamm, Eis, Fauna und Gestein heraus, um alles in die Welt der Menschen zu hieven. Einige der Matrosen nannten ihn treffenderweise den T-Rex. Wenn man ihn sah, wie er mit aufgerissenen Kiefern am Heckgalgen hing, bereit, sich ins Meer zu stürzen, drängte sich der Vergleich tatsächlich auf. Ein Ungeheuer im Dienste der Wissenschaft.
Wie alle Ungeheuer jedoch war der Videogreifer zwar mit erstaunlichen Fähigkeiten ausgestattet, zugleich aber plump und dumm. Im Innern waren eine Kamera und starke Scheinwerfer angebracht. Man konnte sehen, was der Greifer sah, und ihn im richtigen Moment von der Kette lassen. Das war erstaunlich. Dumm war die Unfähigkeit des T-Rex, sich anzuschleichen. So vorsichtig man ihn auch absetzte – und dieser Vorsicht waren Grenzen gesetzt, weil es einer gewissen Wucht bedurfte, um ihn ins Sediment eindringen zu lassen! –, man vertrieb die meisten Bodenbewohner schon allein durch die Bugwelle, die das gigantische Maul vor sich herschob. Sobald es herabfuhr auf Fische, Würmer, Krebse und alles, was schneller Bewegungen fähig war, registrierten die empfindlichen Sinne der Tiere die herannahende Gefahr, lange bevor der Greifer aufschlug. Selbst ausgeklügeltere Systeme kündigten sich auf diese Weise an. Ein amerikanischer Tiefseeforscher hatte es schließlich frustriert und gallig auf den Punkt gebracht:
»Es gibt jede
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