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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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schwacher Punkt. Dafür war sie ungemein kräftig. Nackt sah Karen Weaver aus wie eine Bronzeskulptur, mit schimmernder Haut, unter der sich beeindruckende Muskelstränge entlangzogen. Zwischen ihren Schulterblättern breitete ein kunstvoll tätowierter Falke seine Schwingen aus, eine bizarre Kreatur mit aufgerissenem Schnabel und vorgestreckten Klauen. Zugleich hatte Karen Weaver nichts gemein mit der Grobschlächtigkeit von Bodybuilderinnen. Im Grunde wäre ihr Körper wiegeschaffen gewesen für eine Modelkarriere, nur dass sie zu klein war und ihre Schultern zu breit. Ein kleiner, gut gebauter Panzer, süchtig nach Adrenalin und bevorzugt am Rande irgendeines Abgrunds anzutreffen.
    In diesem Fall erstreckte sich der Abgrund dreieinhalb Kilometer tief. Die Juno kreuzte über dem Grönländischen Abyssal, einer Tiefseeebene unterhalb der Framstraße, aus der kaltes arktisches Wasser nach Süden strömte. Am Zirkelpunkt zwischen Island, Grönland, Nordnorwegen und Svalbard lag eine der beiden Lungen der Weltmeere. Was hier geschah, interessierte Lukas Bauer. Und es interessierte auch Karen Weaver, beziehungsweise ihre Leser.
    Bauer winkte sie heran.
    Vollkommen kahl, mit kolossalen Brillengläsern und weißem Spitzbart, kam er dem Prototyp des vergeistigten Professors näher als jeder Wissenschaftler, den Weaver je kennen gelernt hatte. Er war sechzig und hatte einen runden Rücken, aber in dem mageren, gebeugten Körper steckte eine unbändige Energie. Weaver bewunderte Menschen wie Lukas Bauer. Sie bewunderte das Übermenschliche an ihnen, die Kraft des Willens.
    »Kommen Sie her, Karen!«, rief Bauer mit heller Stimme. »Ist das nicht unglaublich? In dieser Gegend stürzen rund 17 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde nach unten. 17 Millionen!« Er strahlte sie an. »Das ist 20-mal mehr, als sämtliche Flüsse der Erde führen.«
    »Doktor.« Weaver legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Das haben Sie mir schon dreimal erzählt.«
    Bauer blinzelte. »So? Was Sie nicht sagen.«
    »Dafür haben Sie versäumt, mir zu erklären, wie Ihr Drifter funktioniert. Wenn ich Pressearbeit für Sie machen soll, müssen Sie sich ein bisschen mehr mit mir beschäftigen.«
    »Na ja, der Drifter, der autarke Drifter ... ich dachte, das sei klar, oder nicht? Deswegen sind Sie ja hier.«
    »Ich bin hier, um Computersimulationen von Strömungswegen zu erstellen, damit die Leute sehen können, wohin Ihre Drifter unterwegs sind. Schon vergessen?«
    »Ach so, Sie können ja auch gar nicht, Sie haben ja kein ... Nun, ich bin leider ein bisschen knapp in der Zeit. Ich muss noch so vieles erledigen. Warum sehen Sie nicht einfach zu und ...«
    »Doktor! Nicht schon wieder. Sie wollten mir was über die Funktionsweise erzählen.«
    »Ja, sicher. In meinen Publikationen ....«
    »Ich habe Ihre Publikationen gelesen, Doktor, und etwa die Hälftebegriffen. Und ich bin wissenschaftlich vorgebildet. Populärwissenschaftliche Artikel müssen unterhalten, sie müssen in einer Sprache verfasst sein, die jeder kapiert.«
    Bauer sah sie gekränkt an. »Ich finde meine Abhandlungen durchweg verständlich.«
    »Ja, Sie. Und zwei Dutzend Kollegen weltweit.«
    »Ach was. Wenn man den Text aufmerksam studiert ...«
    »Nein, Doktor. Erklären Sie's mir.«
    Bauer runzelte die Stirn, dann lächelte er nachsichtig. »Keiner meiner Studenten dürfte sich das trauen. Mich so oft zu unterbrechen. Nur ich selber darf mich unterbrechen.« Er zuckte die mageren Schultern. »Aber was soll ich machen? Ich kann Ihnen nun mal nichts abschlagen. Nein, das kann ich nicht. Ich hab Sie gern, Karen. Sie sind eine ... also, eine ... Sie erinnern mich an ... na, egal. Schauen wir uns den Drifter an.«
    »Und danach reden wir über die bisherigen Ergebnisse Ihrer Arbeit. Ich bekomme Anfragen.«
    »So? Von wem denn?«
    »Von Zeitschriften, Fernsehmagazinen und Instituten.«
    »Interessant.«
    »Nein, nur logisch. Die Konsequenz meiner Arbeit. Manchmal frage ich mich, ob Sie überhaupt verstehen, was Pressearbeit eigentlich ist.«
    Bauer grinste verschmitzt. »Erklären Sie's mir.«
    »Gerne, wenn auch zum zehnten Mal. Aber erst erzählen Sie mir was.«
    »Nein, das ist schlecht«, rief Bauer aufgeregt. »Wir müssen die Drifter zu Wasser lassen, und gleich danach muss ich dringend ...«
    »Danach müssen Sie tun, was Sie mir versprochen haben«, ermahnte ihn Weaver.
    »Aber, Kind, ich bekomme ebenfalls Anfragen. Ich korrespondiere mit Wissenschaftlern in aller Welt! Sie glauben

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