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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Sie war so engagiert, wie man es sich überhaupt nur wünschen konnte.
    »Ja«, brummte Anawak. »Nicht übel. Kann ich irgendwas tun?«
    »Nachdenken. Vielleicht machst du einen Spaziergang oder fährst ein paar Nootka-Häuptlinge besuchen.« Ford lachte meckernd. »Die Indianer wissen bestimmt was. Wär doch toll, wenn sie dir plötzlich erzählen, das alles sei vor tausend Jahren schon mal passiert.«
    Witzbold, dachte Anawak.
    Er beendete das Gespräch und starrte in den laufenden Fernseher.
    Nach einigen Minuten begann er im Raum auf und ab zu laufen. Sein Knie pochte, aber er lief weiter, als wolle er sich dafür bestrafen, nicht voll einsatzfähig zu sein.
    Wenn es so weiterging, würde er in Paranoia verfallen. Jetzt schon beschlich ihn der Verdacht, dass ihn jeder zu umgehen versuchte. Niemand rief ihn an und erzählte ihm etwas, sofern er nicht danach fragte. Sie behandelten ihn wie einen Pflegefall. Dabei konnte er nur nicht richtig laufen. Gut, es war ein bisschen viel gewesen in letzter Zeit. Erst aus einem Boot geschleudert zu werden und ein paar Tage später aus einem abstürzenden Flugzeug, okay, okay ...
    Das alles war es nicht.
    Er blieb vor den Plastikwalen stehen.
    Niemand versuchte ihn irgendwo herauszuhalten. Kein Mensch behandelte ihn wie einen Kranken. Ford konnte ihm nichts zeigen, solange er nicht das komplette Material gesichtet hatte, und er wollte Anawak nicht damit belasten, ins Aquarium zu kommen und ihm dabei zu helfen. Delaware tat alles, um ihn zu unterstützen. Sie waren rücksichtsvoll, nicht mehr und nicht weniger. Er selber war es, der sich als Versehrten betrachtete und sich nicht leiden konnte.
    Was sollte er tun?
    Wenn du dich im Kreis drehst, dachte er, was machst du dann am besten? Durchbrich den Kreis. Tu etwas, das dich wieder auf geraden Kurs bringt. Etwas, bei dem du nicht die anderen forderst, sondern dich selber. Tu etwas Ungewöhnliches.
    Was konnte er Außergewöhnliches tun?
    Wie hatte Ford gesagt? Er solle ein paar Nootka-Häuptlinge interviewen.
    Die Indianer wissen bestimmt was.
    Wussten sie wirklich etwas? Die Indianer Kanadas hatten über Generationen ihr Wissen aneinander weitergegeben, bis der Indian Act 1885 die Kette der mündlichen Weitergabe durchbrach. Man begann,ihnen ihre Identität abzukaufen, indem man sie dazu brachte, ihre Heimat zu verlassen und ihre Kinder auf die Residential School zu schicken, um sie – wie es hieß – in die Gemeinschaft der Weißen zu integrieren. Der Indian Act war eine Schlange gewesen, doppelzüngig: Integration in etwas Fremdes, eine großzügig ausgestreckte Hand, obwohl man doch integriert war, nämlich in die eigene Gemeinschaft, aber die war der Schlange unlieb gewesen. Immer noch wirkte der Alptraum des Indian Act nach. Seit einigen Jahrzehnten hatten die Indianer zunehmend wieder die Kontrolle über ihr Leben ergriffen. Viele knüpften das Band der Überlieferungen dort an, wo es fast 100 Jahre zuvor zerschnitten worden war, während sich die kanadische Regierung um Wiedergutmachung bemühte, aber von einer Wiederherstellung ihrer Kultur konnte keine Rede sein.
    Immer weniger Indianer kannten die alten Überlieferungen.
    Wen konnte er fragen?
    Die Alten.
    Anawak humpelte auf die Veranda und sah die Hauptstraße entlang.
    Er pflegte so gut wie keinerlei Kontakt zu den Nootka, den Nuu- chah-nulth, wie sie sich selber nannten: Die entlang der Berge leben. Neben den Tsimshian, Gitskan, Skeena, Haida, Kwagiulth und Coast Salish waren die Nootka einer der Hauptclans, welche die Westküste British Columbias bewohnten. Die unterschiedlichen Clans, Stämme und Sprachfamilien ins richtige Verhältnis zu setzen war einem Laien so gut wie unmöglich. Schon hier scheiterten die meisten am Einstieg in die sogenannte indianische Kultur, womit sie ins Reich der regionalen Dialekte und Lebensweisen noch gar nicht vorgestoßen waren, die von Bucht zu Bucht differierten.
    Man konnte Fords Hinweis nur als Scherz auffassen. Eine nette Idee für einen Spielfilm, in dem geheimnisvolle Überlieferungen zur Lösung des Rätsels führten. Das Problem war, dass es die Indianer nicht gab. Um etwas über den Pazifik vor Vancouver Island zu erfahren, machte es grundsätzlich Sinn, sich an die Nootka zu halten, die Indianer des Inselwestens. Vielleicht wurde man fündig. Vielleicht verstrickte man sich aber auch in den Mythen der diversen Stämme, aus denen sich die Nootka zusammensetzten. Jeder dieser Stämme besiedelte sein eigenes

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