Der Schwarm
warum.«
»Und dass er dich mag.«
»Licia, hör auf. Was soll das werden? Soll ich das Heulen kriegen und ihn heilig sprechen?«
»Erzähl mir einfach was von ihm.«
Großer Gott, warum?, dachte Anawak. Warum muss ich jetzt ausgerechnet über Greywolf erzählen? Können wir nicht über was Nettes sprechen? Irgendetwas wirklich Nettes und Erfreuliches, zum Beispiel ...
Er überlegte. Ihm fiel nichts ein.
»Wir waren mal befreundet«, sagte er knapp.
Er erwartete, Delaware mit einem Triumphschrei aufspringen zu sehen – Ha, ertappt, ich hatte Recht! –, aber sie nickte nur.
»Er heißt Jack O'Bannon und stammt aus Port Townsend. Das liegt im Bundesstaat Washington. Sein Vater ist Ire und hat eine Halbindianerin geheiratet, eine Suquamish, glaube ich. – Jedenfalls, Jack hat in den USA alles Mögliche gemacht, er war Rausschmeißer, Lastwagenfahrer, Werbegrafiker und Leibwächter und schließlich Kampftaucher bei den US Navy SEALS. Dort fand er seine Berufung. Delphintrainer. Er machte das gut, aber dann stellten sie einen Herzfehler bei ihm fest. Nichts Wildes, bloß, die SEALS sind ein harter Haufen. Jack kam klar dort, er hat ein Regal voller Auszeichnungen zu Hause, aber das war's dann mit der Navy.«
»Was hat ihn nach Kanada verschlagen?«
»Jack hatte immer schon ein Faible für Kanada. Anfangs hat er versucht, in Vancouvers Filmindustrie Fuß zu fassen. Er dachte, mit der Statur und dem Gesicht könnte er vielleicht Schauspieler werden, aber Jack ist hundert Prozent talentfrei. Eigentlich klappte überhaupt nichts in seinem Leben, weil er immer sofort die Nerven verlor und schon mal jemanden ins Krankenhaus prügelte.«
»Oh«, machte Delaware.
Anawak fletschte die Zähne. »Tut mir Leid, wenn ich dein Denkmal ankratze. Ich hab mich nicht darum gerissen.«
»Schon gut. Und dann?«
»Dann?« Anawak goss sich ein Glas Orangensaft ein. »Dann kam erin den Knast. Kurz nur, er hat ja niemanden betrogen oder gelinkt. Es war sein schlagfertiges Temperament, das ihn reinbrachte. Als er wieder rauskam, war natürlich alles noch viel schwerer. Mittlerweile hatte er Bücher über Naturschutz und Wale gelesen und beschlossen, das müsse es jetzt sein. Warum auch nicht? Er ging also zu Davie, den er von einem Trip nach Ucluelet kannte, und fragte ihn, ob sie noch einen Skipper brauchten, und Davie sagte, wenn du keinen Ärger machst, klar, mit Kusshand, jederzeit! -Jack kann nämlich charmant sein, wenn er will.«
Delaware nickte. »Aber er war nicht charmant.«
»Eine Weile schon. Wir hatten plötzlich jede Menge weiblichen Zulauf. Alles lief bestens – bis zu dem Tag, wo er dann doch jemandem eine reingehauen hat.«
»Doch nicht einem der Gäste?«
»Du hast es erfasst.«
»Au Backe.«
»Tja. Davie wollte ihn feuern. Ich habe mit Engelszungen auf ihn eingeredet, Jack eine zweite Chance zu geben. Wir haben ihn also nicht rausgeworfen. Aber was macht dieser Idiot?« Da war sie wieder, die Wut auf Greywolf. »Drei Wochen später dieselbe Nummer. Da musste Davie ihn feuern. Was hättest du denn gemacht?«
»Ich glaube, ich hätte ihn schon nach dem ersten Mal vor die Tür gesetzt«, sagte Delaware leise.
»Um deine Zukunft muss ich mir wenigstens keine Sorgen machen«, spottete Anawak. »Jedenfalls, wenn du dich für jemanden stark machst, und er dankt es dir so, hat jede Sympathie irgendwann ein Ende.«
Er stürzte den Orangensaft hinunter, verschluckte sich und hustete. Delaware langte hinüber und schlug ihm sacht auf den Rücken.
»Danach ist er völlig durchgedreht«, keuchte er. »Jack hat ein zweites Problem, eines mit der Realität. Irgendwann in seinem Frust ist wohl der große Manitou über ihn gekommen und hat gesagt, ab heute heißt du Greywolf, und du schützt die Wale und alles, was da kreucht und fleucht, so ein verdammter Schwachsinn! Gehe hin und kämpfe. Klar, dass er sauer auf uns war, also hat er sich eingeredet, gegen uns kämpfen zu müssen, und zu allem Überfluss glaubt er auch noch, ich sei auf der falschen Seite und hätte es nur noch nicht gemerkt.« Anawak wurde immer zorniger. Sein Zorn wuchs ins Uferlose. »Er wirft alles durcheinander. Er hat keine Ahnung von Naturschutz und keine von den Indianern, denen er sich so zugehörig fühlt. Die Indianer lachen sich tot über ihn. Warst du bei ihm zu Hause? Ach nein, du hast ihn ja in der Kneipe aufgegabelt! Voller Indianerkitsch, die Bude. Ja. Sielachen sich tot, bis auf diejenigen unter ihnen, die selber nichts draufhaben,
Weitere Kostenlose Bücher