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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Ein Verfolger aus längst vergessen geglaubten Zeiten hatte seine Angst gewittert und seine Spur wieder aufgenommen. Ein frostiges Gespenst, das ihm eine letzte Chance bot, sein Leben in den Griff zu bekommen, und Einsamkeit und Elend bereithielt, sollte er scheitern. Die Botschaft war allzu deutlich:
    Durchbrich den Kreis. Der gute alte Psychologenspruch.
    Anawaks Weg führte ihn den wurzelbewachsenen Pfad hinauf, wie zufällig und ohne besondere Eile. Er war die Hauptstraße entlanggegangen und in allerletzter Sekunde abgebogen, als sei ihm unvermittelt dieIdee gekommen. Nun stand er auf der Lichtung vor dem hässlichen kleinen Haus und fragte sich, was zum Teufel er hier eigentlich machte. Er stieg die wenigen Stufen zu der schäbigen Veranda empor und klopfte.
    Greywolf war nicht zu Hause.
    Einige Male ging er um das Haus herum. Auf unbestimmte Weise war er enttäuscht. Natürlich hätte er sich denken können, dass er niemanden antreffen würde. Er überlegte, ob er einfach wieder gehen solle. Vielleicht war es gut so. Immerhin hatte er einen Versuch gestartet, wenngleich einen erfolglosen.
    Aber er ging nicht. Das Bild eines Menschen mit Zahnschmerzen ging ihm plötzlich im Kopf herum, der beim Zahnarzt schellt und davonläuft, weil nicht unverzüglich geöffnet wird.
    Seine Schritte führten ihn zurück zur Haustür. Er streckte die Hand aus und drückte die Klinke hinunter. Mit leisem Knarren schwang die Tür ins Innere. Es war nicht ungewöhnlich in dieser Gegend, dass die Menschen ihre Häuser offen ließen. Eine Erinnerung durchfuhr ihn kalt. Auch anderswo lebte man so. Hatte man so gelebt. Einen Moment verharrte er in Unschlüssigkeit, dann trat er zögerlich ein.
    Er war ewig nicht mehr hier gewesen. Umso mehr erstaunte ihn, was er sah. In seiner Erinnerung hatte Greywolf in schmuddeligem Chaos gehaust. Stattdessen erblickte Anawak einen schlichten, aber behaglich eingerichteten Raum, an dessen Wänden indianische Masken und Wandteppiche hingen. Um einen niedrigen Holztisch standen geflochtene und bemalte Sessel. Indianische Decken zierten ein Sofa. Zwei Regale waren voll gestopft mit allen möglichen Gegenständen des täglichen Gebrauchs, aber auch mit hölzernen Rasseln, wie die Nootka sie bei Zeremonien und rituellen Gesängen benutzten. Einen Fernseher sah Anawak nicht. Zwei Kochplatten wiesen den Raum zugleich als Küche aus. Ein Durchgang führte in ein zweites Zimmer, in dem Greywolf schlief, wie Anawak sich erinnerte.
    Kurz war er versucht, sich dort umzusehen. Immer noch fragte er sich, was er hier eigentlich machte. Dieses Haus lockte ihn in eine Zeitschleife. Es warf ihn weiter zurück in die Vergangenheit, als ihm lieb sein konnte.
    Sein Blick blieb an einer großen Maske hängen. Sie schien den ganzen Raum zu überblicken.
    Die Maske sah ihn an.
    Er trat näher heran. Viele indianische Masken, die Gesichter zeigten, arbeiteten die Merkmale in symbolhafter Übertreibung heraus – riesige Augen, übermäßig geschwungene Brauen, schnabelartige Hakennasen.Diese hier war das getreue Abbild eines menschlichen Antlitzes. Sie zeigte das ruhige Gesicht eines jungen Mannes mit gerader Nase, vollen, geschwungenen Lippen und hoher, glatter Stirn. Die Haare wirkten verfilzt, schienen aber echt zu sein. Sah man davon ab, dass die Pupillen ausgeschnitten waren, um dem Träger das Hindurchgucken zu ermöglichen, wirkten die Augen mit den weiß bemalten Augäpfeln überraschend lebendig. Sie blickten ruhig und ernst, fast wie in Trance.
    Anawak stand reglos vor der Maske. Er kannte indianische Masken zuhauf. Die Stämme fertigten sie aus Zedernholz, Rinde und Leder. Man konnte sie kaufen, sie gehörten zum festen Repertoire des touristischen Angebots. Diese hier schlug aus der Art. Eine solche Maske fand man nicht in Touristenläden.
    »Sie stammt von den Pacheedaht.«
    Er fuhr herum. Greywolf stand direkt hinter ihm.
    »Für einen Möchtegernindianer bist du gut im Anschleichen«, sagte Anawak.
    »Danke.« Greywolf grinste. Er wirkte keineswegs verärgert über den ungebetenen Besucher. »Ich kann das Kompliment nicht zurückgeben. Für einen Totalindianer bist du die absolute Vollpfeife. Wahrscheinlich hätte ich dich abmurksen können, und es wäre dir nicht aufgefallen.«
    »Wie lange stehst du schon hinter mir?«
    »Ich bin gerade reingekommen. Ich spiele keine Spielchen, das müsstest du eigentlich wissen.« Greywolf trat einen Schritt zurück und musterte Leon, als falle ihm erst jetzt auf, dass er

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