Der Schwarm
ihn nicht eingeladen hatte. »Bei der Gelegenheit, was willst du eigentlich?«
Gute Frage, dachte Anawak. Unwillkürlich wandte er den Kopf wieder der Maske zu, als könne sie das Gespräch für ihn übernehmen.
»Von den Pacheedaht, sagst du?«
»Du kennst dich mal wieder nicht aus, wie?« Greywolf seufzte und schüttelte nachsichtig den Kopf. Schimmernde Wellen durchliefen sein langes Haar. »Die Pacheedaht....«
»Ich weiß, wer die Pacheedaht sind«, sagte Anawak ärgerlich. Das Territorium des kleinen Nootka-Stammes lag im Süden Vancouver Islands, oberhalb von Victoria. »Mich interessiert die Maske. Sie sieht alt aus. Nicht wie der Krempel, den sie den Touristen verkaufen.«
»Es ist eine Replik.« Greywolf trat neben ihn. Statt des speckigen Lederanzugs trug er Jeans und ein verwaschenes Hemd, dessen Karomuster nur noch zu erahnen war. Seine Finger strichen über die Konturen des Zederngesichts. »Es ist die Maske eines Vorfahren. DasOriginal verwahrt die Queesto-Familie in ihrem HuupuKanum. Soll ich dir erklären, was ein HuupuKanum ist?«
»Nein.« Anawak kannte das Wort, aber tatsächlich wusste er nicht genau, was es bedeutete. Irgendetwas Rituelles. »Ein Geschenk?«
»Ich habe sie selber gemacht«, sagte Greywolf. Er wandte sich ab und ging hinüber zu der Sitzgruppe. »Willst du was trinken?«
Anawak starrte auf die Maske. »Du hast ...«
»Ich hab eine Menge Zeug geschnitzt in letzter Zeit. Neue Leidenschaft. Die Queestos hatten nichts dagegen, dass ich die Maske kopiere. – Willst du nun was trinken oder nicht?«
Anawak wandte sich um.
»Nein.«
»Mhm. Also was führt dich her?«
»Ich wollte mich bedanken.«
Greywolf hob die Brauen. Er ließ sich auf der Kante des Sofas nieder und verharrte dort wie ein sprungbereites Tier.
»Wofür?«
»Ich verdanke dir mein Leben.«
»Oh! Das. Ich dachte schon, es wär dir nicht aufgefallen.« Greywolf zuckte die Achseln. »Gern geschehen. Sonst noch was?«
Anawak stand hilflos im Raum. Davor hatte er sich nun wochenlang gedrückt, und jetzt war es vorbei. Danke, bitte. Im Grunde konnte er wieder gehen. Er hatte getan, was nötig war.
»Was hast du denn zu trinken?«, fragte er stattdessen.
»Kaltes Bier und Cola. Der Eisschrank hat letzte Woche den Geist aufgegeben. War 'ne harte Zeit, aber jetzt funktioniert er wieder.«
»Gut. Cola.«
Plötzlich fiel Anawak auf, dass der Riese unsicher wirkte. Greywolf musterte ihn, als wisse er irgendwie nicht weiter. Er zeigte auf den kleinen Kühlschrank neben dem provisorischen Herd.
»Bedien dich selber. Für mich ein Bier.«
Anawak nickte. Er öffnete den Kühlschrank und förderte zwei Dosen zutage. Etwas steif setzte er sich Greywolf gegenüber in einen der Korbsessel, und sie tranken.
Eine Weile sagte niemand etwas.
»Und sonst, Leon?«
»Ich ...« Anawak drehte die Dose hin und her. Dann stellte er sie ab. »Hör zu, Jack, ich meine es ernst. Ich hätte längst herkommen sollen. Du hast mich aus dem Wasser gefischt, und ... na ja, ich meine, du weißt, was ich von deinen Aktionen und deinem Indianergehabe halte.Ich kann nicht leugnen, dass ich eine Sauwut auf dich hatte. Aber das sind zwei Paar Schuhe. Ohne dich würden einige Leute nicht mehr leben. Das ist viel wichtiger, und ... ich bin gekommen, um dir das zu sagen. Sie nennen dich den Held von Tofino, und ich schätze, in gewisser Weise bist du das auch.«
»Du meinst es tatsächlich ernst?«
»Ja.«
Wieder verstrich längeres Schweigen.
»Was du Indianergehabe nennst, Leon, ist etwas, woran ich glaube. Soll ich's dir erklären?«
Unter anderen Umständen wäre die Unterhaltung damit beendet gewesen. Anawak hätte sich entnervt verzogen, Greywolf hätte ihm irgendetwas Kränkendes hinterhergebrüllt. Nein, das war nicht ganz fair. Anawak hätte sich verzogen und dabei als Erstes etwas Kränkendes gesagt.
»Schön.« Er seufzte. »Erklär's mir.«
Greywolf sah ihn lange an.
»Ich habe ein Volk, zu dem ich gehöre. Ich habe mir eines erwählt.«
»Oh, toll. Du hast dir eines erwählt.«
»Ja.«
»Und? Haben sie dich auch erwählt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du läufst rum wie die Jahrmarkt-Version deines Volkes, wenn ich das sagen darf. Wie eine Figur aus einem schlechten Western. Was sagt denn dein Volk dazu? Finden sie, du tust ihnen einen Gefallen?«
»Es ist nicht meine Aufgabe, jemandem einen Gefallen zu tun.«
»Doch. Wenn du zu einem Volk gehören willst, übernimmst du für dieses Volk Verantwortung. So ist das
Weitere Kostenlose Bücher