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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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auch Vögel, sie greifen selbst Blauwale an. Hier, wo die Küste felsig ist, bleiben sie ausschließlich im Wasser, aber in Südamerika finden Sie Transients, die am Strand jagen. Sie kommen aufs Trockene und greifen sich Robben und anderes Getier. Faszinierend!«
    Er hielt inne in Erwartung einer neuen Frage, aber die Frau schwieg und blies nur etwas Rauch in die Abendluft.
    »Die dritte Art lebt in unmittelbarer Umgebung der Insel«, fuhr Anawak fort. »Residents. Großfamilien. Kennen Sie die Insel?«
    »Einigermaßen.«
    »Im Osten, zum Festland hin, gibt es eine Meerenge, die Johnstone Strait. Die Residents sind dort das ganze Jahr über. Sie fressen ausschließlich Lachs. Seit Anfang der siebziger Jahre erforschen wir ihre Sozialstruktur.« Er machte eine Pause und sah sie verwirrt an. »Wie kommen wir jetzt darauf? Was wollte ich überhaupt erzählen?«
    Sie lachte. »Tut mir Leid. Meine Schuld. Ich habe Sie aus dem Konzept gebracht, aber ich muss immerzu alles ganz genau wissen. Wahrscheinlich gehe ich Ihnen furchtbar auf die Nerven mit meiner Fragerei.«
    »Berufsbedingt?«
    »Angeboren. Sie wollten mir übrigens erklären, welche Wale verschwunden sind und welche nicht.«
    »Ja, das wollte ich tun, aber ...«
    »Sie haben keine Zeit.«
    Anawak zögerte. Er warf einen Blick auf die Kladde und den Laptop. Im Verlauf des Abends würde er den Bericht fertig stellen müssen. Aber der Abend war lang. Außerdem verspürte er Hunger.
    »Wohnen Sie im Wickaninnish Inn?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Was machen Sie heute Abend?«
    »Oh!« Sie hob die Augenbrauen und grinste ihn an. »Das hat mich zuletzt vor zehn Jahren einer gefragt. Wie aufregend.«
    Er grinste zurück. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, mich treibt der Hunger. Ich dachte, wir setzen unser Gespräch beim Essen fort.«
    »Gute Idee.« Sie ließ sich vom Baumstamm rutschen, drückte die Zigarette aus und verstaute die Kippe in ihrer Windjacke. »Aber ich warne Sie. Ich spreche mit vollem Mund. Ich rede und frage eigentlich fortgesetzt, wenn man mich nicht auf eine Weise unterhält, dass es mir die Sprache verschlägt. Also geben Sie Ihr Bestes. Übrigens«, sie streckte ihm die Rechte hin, »Samantha Crowe. Sagen Sie Sam, das tut jeder.«
    Sie ergatterten einen Fensterplatz im rundum verglasten Restaurant. Es war dem Hotel vorgelagert und thronte auf seinem Felsen, als wolle es in See stechen. Von der erhöhten Warte bot sich ein phantastischer Panoramablick auf den Clayoquot Sound mit seinen Inseln, auf die Bucht und die dahinter liegenden Wälder. Der Platz eignete sich in idealer Weise, um Wale zu beobachten. Dieses Jahr allerdings musste man sich selbst an so exponierter Stelle mit den Meeresbewohnern zufrieden geben, die aus der Küche kamen.
    »Das Problem ist, dass die Transients und die Offshore Orcas fortgeblieben sind«, erläuterte Anawak. »Darum sehen wir an der Westküste momentan so gut wie keine Orcas. Die Residents sind sozahlreich wie immer vertreten, aber sie kommen nicht gern auf diese Seite, auch wenn die Johnstone Strait allmählich ungemütlich für sie wird.«
    »Warum das?«
    »Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie Ihr Zuhause immer mehr mit Fähren, Frachtern, Luxuslinern und Sportfischern teilen müssten? Unzählige Motorboote knattern da rum. Außerdem lebt die Region von der Holzindustrie. Die Cargoliner fahren ganze Wälder rüber nach Asien. Wenn die Bäume verschwinden, versanden die Flüsse, und die Lachse verlieren ihre Laichplätze. Und Residents fressen nun mal nichts anderes als Lachs.«
    »Verstehe. Aber Sie sorgen sich nicht einzig um die Orcas, richtig?«
    »Grau- und Buckelwale bereiten uns das meiste Kopfzerbrechen. Vielleicht haben sie einen Umweg gemacht oder sind es leid, von Booten aus angestarrt zu werden.« Er schüttelte den Kopf. »Aber so einfach ist das eben nicht. Wenn die großen Herden Anfang März vor Vancouver Island eintreffen, haben sie seit Monaten nichts im Magen. Während des Winters in Baja California leben sie vom angefressenen Speck. Nur, der ist irgendwann aufgezehrt. Hier nehmen sie erstmals wieder Nahrung auf.«
    »Vielleicht sind sie weiter draußen vorbeigezogen.«
    »Da gibt es nicht genug zu fressen. Den Grauwalen zum Beispiel liefert die Wickaninnish Bay einen Hauptbestandteil ihrer Nahrung, der im offenen Ozean gar nicht zu finden ist, Onuphis elegans.«
    »Elegans? Klingt schick.«
    Anawak lächelte.
    »Es ist ein Wurm. Lang und dünn. Die Bay ist sandig, er kommt in ungeheuren

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